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Artikel 1. Juni 2010
Plasmarakete könnte Reisen im Weltraum revolutionieren
Entwicklung schon ziemlich weit gereift - NASA zeigt wieder Interesse

Das

VASIMR-Bodentriebwerk
Oben: Das VASIMR-Bodentriebwerk VX-200 während eines Vollasttests mit Argongas. (Photo: Ad Astra/Kat's Photography)
Die Zentrale der Raketenfirma Ad Astra Rocket Co. fällt einem nicht gerade auf. Zumindest so lange nicht, bis man sie von innen gesehen hat.

In einem Lagerhaus in einem Vorort von Houston, in dem man nichts besonderes vermuten würde, und das versteckt hinter einem Einkaufszentrum an der Straßenecke liegt, ist eine Gruppe von führenden Ingenieuren und ideenreichen Physikern damit beschäftigt, eine Hochtechnologie-Plasmarakete zu entwickeln, die dafür gedacht ist, die Menschheit zu den Sternen zu bringen.

2005 gegründet, leistet die Firma ihre Arbeit überwiegend nur ein paar Minuten vom Johnson Raumfahrtzentrum (JSC) der NASA entfernt, dem Sitz des Missionsleitzentrums. Das Hauptprojekt des Unternehmens ist die "Magnetoplasmarakete mit Variablem Spezifischem Impuls (VASIMR)", ein höchst effizienter Raumfahrtantrieb, der anstatt herkömmlicher fester oder flüssiger Treibstoffe mit Elektrizität und Argongas betrieben wird.

Franklin Chang-Diaz, der Chefarchitekt des Projekts, sagt, dass das VASIMR-Triebwerk das am ehesten zum Einsatz bereite elektrische Hochleistungsantriebssystem auf der ganzen Welt ist.

"Das ist transformative Technologie, die wir hier entwickeln", äußerte Chang-Diaz. "Ich war schon immer der Meinung, dass die auf Chemie beruhende Herangehensweise beim Weltraumtransport uns nicht wirklich sehr weit bringen wird."

Chemische Raketentriebwerke setzen voraus, dass das Weltraumfahrzeug während einer Mission seinen gesamten Treibstoff mit sich führt. Das VASIMR-Triebwerk verbrennt kleine Mengen Argongas, eines der stabilsten Elemente des Periodensystems. Eine der revolutionärsten Eigenschaften der VASIMR-Konstruktion ist jedoch, dass sie sich auf Elektrizität stützt - im Weltraum eine erneuerbare Energiequelle.

"Das Triebwerk ist sehr robust. Um aber über den Mond hinaus zu kommen, und auch zum Mars und noch weiter vorzudringen, brauchen wir eine wirklich komplett neue Antriebstechnologie", führte Chang-Diaz weiter aus. "Wir sehen das VASIMR als das Arbeitspferd für diese Transportinfrastruktur an."

Elektrisch betriebene Plasmatriebwerke könnten die Reisezeiten bei Missionen durch das Sonnensystem verkürzen. Ein Konzept, das von Chang-Diaz verfochten wird, umfasst eine 39-Tage-Mission zum Mars, setzt aber Sprünge bei der nuklearen Energieproduktion im Weltraum voraus.

Ursprünglich von der NASA finanziert, hat sich das VASIMR-Projekt, seit die Plasmaraketenforschung 2005 privatisiert wurde, vom Reißbrett zur Wirklichkeit entwickelt. Raketenentwickler haben das VASIMR-Triebwerk in den Laboratorien von Ad Astra in Houston und Costa Rica näher zur Flugtauglichkeit hin vorangetrieben.

"Wir haben in den fünf Jahren, was das Leistungsvermögen und die Effizienz der Plasmaquelle angeht, einige richtig große Sprünge gemacht", erklärte Tim Glover, der Entwicklungsleiter bei Ad Astra.

Die NASA beurteilt aufkommende Technologien nach einer Einsatzskala von 1 bis 10.

"Wenn die Technologie für den Flug bereit ist, ist das der Zeitpunkt, an dem man die Stufe 6 erreicht hat", erläuterte Chang-Diaz. "Stufe 7 wäre dann der eigentliche Flug."

Chang-Diaz zufolge, der bereits seit den 1970-er Jahren an der Plasmaantriebstechnologie arbeitet, ist das VASIMR-Triebwerk bereits auf Stufe 6.

"Ich hatte schon immer die Ahnung, dass es eine Möglichkeit gibt, dieses hoch erhitzte Plasma dafür zu nutzen, ein Raketentriebwerk zu entwickeln, dass viel schneller ist, als es die Raketen der heutigen Zeit sind", meinte Chang-Diaz.

Er wurde jedoch 1980, als er von der NASA als Astronaut ausgewählt wurde und seiner daraus resultierenden zweiten Karriere, davon abgelenkt. Der 60-jährige ist einer von nur zwei Raumfliegern, die an der Grenze des Weltraums sieben Missionen durchgeführt haben.

Zwischen dem Training für die Raumfährenmissionen leitete Chang-Diaz die Plasmaforschung zuerst am Massachusetts Institut für Technologie (MIT) und danach am Johnson Raumfahrtzentrum (JSC) der NASA.

Die NASA entschied sich aber dazu, fortgeschrittene Antriebsforschung nicht mehr zu finanzieren, um das Constellation-Program m bezahlen zu können, damit die Menschen wieder auf den Mond zurückgehen können. Dies zwang die Arbeit 2005 in die Privatwirtschaft.

"Solch düsteren Aussichten für unser Projekt ausgesetzt, schlug ich der NASA vor, dass wir es privatisieren", sagte Chang-Diaz. "Zu meiner großen Überraschung stimmten sie zu, dass dies eine gute Idee sei. So wurde die Raketenfirma Ad Astra aus einer Privatisierungsvereinbarung mit der NASA heraus geboren, bei der das Laboratorium, das ich geleitet hatte, in ein privates Unternehmen umgewandelt wurde."

Chang-Diaz sicherte sich Investitionen aus den Vereinigten Staaten, Europa und seinem Heimatland Costa Rica im Gesamtwert von mehreren Zehnmillionen Dollar. Das sei zehnmal so viel, so meint er, als die NASA jemals für das Projekt ausgegeben hat. Das Unternehmen beschäftigt nun in Houston und Costa Rica rund 40 Mitarbeiter.

Seit das Laboratorium privatisiert wurde, hat der Zufluss an Geldmitteln das VASIMR- Triebwerk auf der Einsatzskala von 2 auf 6 vorangetrieben.

"Das ist in nur fünf Jahren passiert, und davor hat es 25 Jahre gedauert, um von 0 auf 2 zu kommen, äußerte Chang-Diaz. "Das war in den letzten fünf Jahren eine sehr entscheidende Entwicklung. Das ist es, was passiert, wenn man über das nötige Geld verfügt."

Aber der Vorschlag der Obama-Administration, das Constellation-Programm zu streichen und die NASA wieder darauf auszurichten, neue Technologien für die Exploration des Sonnensystems zu fördern, hat VASIMR zurück ins Rampenlicht gebracht.

"Präsident Obama hat beschlossen, dass die NASA wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren und damit weitermachen soll, Projekte fortschrittlicher Technologie zu finanzieren", äußerte Chang-Diaz weiter. "Wir haben den Kreis fast geschlossen und finden uns jetzt an einem Punkt wieder, an dem die NASA wieder Interesse zeigt."

Und die gute Freundschaft zwischen Chang-Diaz und NASA-Chef Charles Bolden täte auch nicht gerade weh, meinte Glover.

Chang-Diaz flog mit Bolden auf zwei Raumfährenmissionen und sie sind auch heute noch gute Freunde.

"Charlie und ich sind sehr gute Freunde", erklärte Chang-Diaz. "Ich denke, er verfügt über die richtige Herangehensweise Menschen zusammenzubringen. Er hat ganz bestimmt die richtige Persönlichkeit und den nötigen Grad an technischem Verständnis."

Bolden sagte über VASIMR, dass dies ein Beispiel für eine neue Technologie sei, die die NASA weiter verfolgen sollte.

"Was uns helfen wird, ist jemandem wie Dr. Franklin Chang-Diaz oder einem anderen, der Ionentriebwerke studiert, uns dabei helfen zu lassen, ein bahnbrechendes interplanetarisches Triebwerk zu entwickeln, das die Reisezeit zum Mars halbieren wird", erläuterte Bolden in einer Pressekonferenz etwas früher in diesem Jahr.

Verantwortliche bei Ad Astra begrüßen das Interesse der NASA an dem Projekt, bestehen jedoch darauf, dass die Triebwerksentwicklung auf dem Privatsektor weitergeht.

"Ich will die NASA auf dem kritischen Weg nicht dabei haben, weil man bei der NASA nie weiß, was als nächstes kommt", meinte Chang-Diaz. "Ich würde sie derzeit nicht als besonders verlässlich einstufen."

Das

VASIMR-Triebwerk auf der ISS
Oben: Eines der frühen Konzepte, das das VASIMR-Triebwerk auf der Internationalen Raumstation (ISS) zeigt. (Abbildung: NASA)
Ad Astra führt zurzeit in einer Unterdruckkammer in Houston Tests an einer zweistufigen Bodenversion des VASIMR-Triebwerks durch. Das 200-Kilowatt-Triebwerk, VX-200 genannt, sieht einem herkömmlichen Raketentriebwerk überhaupt nicht ähnlich. Dem Triebwerk fehlt die Brennkammer, über die herkömmliche Antriebsaggregate verfügen.

Die Firma testete das Bodentriebwerk im Spätjahr 2009 erfolgreich auf seine 200-Kilowatt Konstruktionsnennleistung. Dieser Leistungspegel wurden aber nur in kurzen Stößen erreicht, diejeweils nur einen Bruchteil einer Sekunde andauerten.

Ingenieure planen weitere Tests des VX-200, um schließlich längere Betriebszeiten bei Nennleistung zu erreichen.

Die Bodentests hatten sich bislang auf Niedrigtemperatursupraleitspulen gestützt. Ambitioniertere Vorführungen im Weltall sollen sich jedoch haltbareren Materialien bedienen, die viel höheren Temperaturen und längeren Betriebszeiten standhalten können.

Die Hochtemperatursupraleiter-Bauart ist für uns eine Grundlagentechnologie, sagte Glover.

Im Innern des VASIMR-Triebwerks wird das Plasma durch leistungsstarke Spulen eines Supraleitermagnets gehalten - ein technischer Schlüsseldurchbruch, der das Triebwerk zusammenhält, indem er das hoch erhitzte Plasma beschleunigt, um Vortriebskraft zu erzeugen.

Der Argontreibstoff des Triebwerks passiert zunächst die erste Stufe der Baugruppe. Dort wird das Gas ionisiert, indem die Elektronen von den Argonatomen abgespaltet werden. Die erste Stufe, auch Helikonsektion genannt, erhitzt das Gas auf etwas über 9.700 Grad Celsius, führte Jared Squire, Forschungsleiter bei Ad Astra aus.

"Es ist das gleiche, was man mit einer Dampfmaschine tut, wo man Wasser zuerst zum kochen bringt, um damit Dampf zu erzeugen", erklärte Squire weiter. "Man erhitzt das Gas und dabei wird das Plasma gebildet."

Die zweite Stufe des VASIMR-Triebwerks bringt in einem Prozess, der "Ionenzyklotronerhitzung" genannt wird, mehr elektromagnetische Energie in das Plasma ein. Das Plasma wird anschließend mit mehr als 177.000 km/h aus der Triebwerksdüse herausgedrückt. Squire zufolge können die Abgase Temperaturen von bis zu einer Million Grad Celsius erreichen.

Die Verantwortlichen haben vor daran zu arbeiten und die Macken in der Technologie zu beseitigen, bevor die Triebwerke 2014 für eine Demonstration in der Umlaufbahn zur Internationalen Raumstation (ISS) gestartet werden. Glover fügte hinzu, dass Testläufe auf der ISS mit zwei Triebwerken durchgeführt werden, die jeweils mit 100 Kilowatt arbeiten.

Das über 4.500 kg schwere Triebwerkspaket wird auf einem der kommerziellen Frachtraumfahrzeuge [zur ISS] gestartet werden. Diese werden zurzeit von den Firmen SpaceX und Orbital Sciences entwickelt.

Die Möglichkeit, dass VASIMR auf der ISS zum Einsatz kommen kann, wurde durch ein Weltraumabkommen ermöglicht, das 2008 mit der NASA geschlossen wurde. Der Vertrag, der keinerlei Austausch von Geldmitteln vorsieht, bestimmt, dass Ad Astra und die NASA vor dem Testflug fünf Meilensteine passieren müssen.

Die Parteien haben bereits ein Nutzlastintegrationsabkommen geschlossen und der nächste Schritt wird 2011 die vorläufige Überprüfung der Konstruktion des VASIMR-Triebwerks sein.

Ad Astra hofft, dass das VASIMR-Triebwerk für Bahnkorrekturmanöver der ISS benutzt werden könnte sobald es die Vorführungszielvorgaben erreicht hat.

"Falls die ISS wirklich bis weit in die 2020-er Jahre hinein betrieben wird, könnten die internationalen Partner darin übereinkommen, dass sie die Bahnkorrekturmanöver mit elektrischen Antrieben ausführen wollen", meinte Glover. "Man müsste wahrscheinlich warten, bis die derzeitigen Verträge bezüglich der Bahnkorrekturen [mit Europa und Russland] auslaufen, aber dann könnte man schon sagen, dass sich Ad Astra's System bereits auf der ISS bewiesen hat. Warum überlegen wir nicht, wieviel Geld wir damit einsparen könnten, wenn wir es für Bahnkorrekturen verwenden würden?"

Glover ist weiter der Meinung, dass ein solcher Zug das [ISS-] Stationsprogramm jährlich $200 Millionen (umgerechnet mehr als €166 Millionen) und sieben metrische Tonnen Treibstoff einsparen würde. Dieses Geld und diese Masse könnten in andere wissenschaftliche Experimente an Bord des Komplexes umgeleitet werden.

VASIMR-Raumfahrzeug auf dem Weg zum Mars
Oben: Ad Astra's Vorstellung von einem VASIMR-betriebenen Raumfahrzeug auf seinem Weg zum Mars. (Abbildung: Ad Astra)
Aber Ad Astra hat bereits Ziele über die Erdumlaufbahn hinaus anvisiert. Das Unternehmen glaubt, dass VASIMR Reisen zum Mars und den Asteroiden Wirklichkeit werden lassen könnten.

Zufälligerweise sind genau diese Orte die neuen Ziele für die bemannten Explorationspläne der NASA, die für den Moment vorsehen würden, den Mond zu übergehen.

"Wir müssen schnell zum Mars kommen", sagte Chang-Diaz. "Es kann nicht sechs, sieben, oder acht Monate dauern, um zum Mars zu gelangen. Das schreit nach Schwierigkeiten."

Selbst wenn chemische Raketen die Menschen zum Mars bringen würden, würde das Programm wegen der langen Reise und der hohen Kosten auf Dauer untragbar sein, so Chang-Diaz.

"Diese Triebwerke, die wir da entwickeln, sind schon von Natur aus Hochleistungstriebwerke. Das sind keine kleinen, sondern sehr leistungsstarke Triebwerke, die bis auf mehrere Zehn-Megawatt erhöht werden können, erklärte Chang-Diaz.

Diese Megawatt-Klassen-Triebwerke werden für jegliche wesentliche Anwesenheit im Sonnensystem benötigt werden. Das zurzeit in der Entwicklung befindliche 200-Kilowatt-Triebwerk ist am besten dafür geeignet, seine Arbeit in der Erdumlaufbahn oder im Mehrtriebwerksverbund zu verrichten.

Ist ein bemannter Flug zum Mars aber wirklich in 39 Tagen möglich? Ad Astra sagt ja, aber unter Vorbehalt. Wesentliche Fortschritte in der Kernenergie und eine Abreisestelle irgendwo hoch über der Erde wären dafür nötig.

"In Bezug auf die Leistung ist das Raumfahrzeug für eine 39-Tage-Mission zum Mars nicht viel anders als eine 747 Jumbo-Jet", meinte Chang-Diaz. "Wenn die Leute hören, dass wir ein 200-Megawatt-Raumfahrzeug einsetzen wollen, um zum Mars zu fliegen, winden sie sich, wringen die Hände und fragen, woher wir soviel Energie nehmen wollen.

Die derzeitige Technologie kann im Weltraum nicht genug Elektrizität produzieren, um Hochleistungsplasmatriebwerke der Mehrfach-Megawatt-Klasse jeweils wochenlang zu betreiben.

"Das benötigt eine wirklich leichtgewichtige Stromversorgung von ca. einem Kilogramm pro Kilowatt - was letztlich wahrscheinlich machbar ist", äußerte Glover.

Ihm nach ist das wichtigste Maß zur Effizienz von Plasmatriebwerken das Verhältnis von Gewicht zu Leistung, oder die Masse in Kilogramm, die man braucht, um ein Kilowatt an Elektrizität zu erzeugen.

Flachplattensonnenzellen haben heute ein Verhältnis von rund 20 Kilogramm für jedes Kilowatt an Strom, das sie erzeugen. Die besten Kernreaktoren, die für Raumflüge entworfen wurden, haben eine spezifische Masse von ca. 45 Kilogramm.

Das Pentagon und die Firma Boeing entwickeln gerade ein Solarmodul der nächsten Generation, das darauf abzielt, ein Leistungsgewicht von 7 kg/kW zu erreichen.

Ingenieure sagen voraus, dass Nukleargeneratoren innerhalb von ein paar Jahrzehnten eine Effizienz von einigen wenigen Kilogramm pro Kilowatt erreichen können.

Selbst wenn 39-Tage-Missionen zum Mars noch Zukunftsmusik sind, sind die Ad Astra-Verantwortlichen zuversichtlich, dass die Reisezeiten für kleinere Missionen um 2020 herum durch nahe bevorstehende Durchbrüche bei der Solarzellentechnologie um mehr als die Hälfte verkürzt werden können.

"Obwohl Sonnentechnologie sehr beeindruckend ist und dazu verwendet werden kann, bald einige Technologiedemonstrationen zu vollführen, wird sie uns nicht sonderlich weit bringen. Letzten Endes benötigt man Kernkraft, wenn man da draußen große Dinge vollbringen will."

Quelle: Spaceflight Now
Bearbeitet von: Joachim Dietlicher


letzte Änderung am 9. Juni MMX