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Artikel 2. September 2010
Sonnensegel-Raumfahrzeug könnte Reisen über das Sonnensystem hinaus unternehmen
Ideen zur Realisierung bereits vorhanden - Segel ist heute wie damals revolutionär

Das japanische Sonnensegel IKAROS
Oben: Eine der einsetzbaren Kameras des Raumfahrzeuges IKAROS der Japanischen Weltraumbehörde JAXA zeigt das Sonnensegel voll entfaltet. (Foto: Planetarische Gesellschaft/JAXA)
Indem sie große Segeltücher auf Booten anschlugen, machten sich die ersten Forschungsreisenden den Wind zunutze, um über die Weltmeere zu segeln. Heutzutage wollen sich Weltraumforscher der Segel bedienen, um Raumfahrzeuge in die Tiefen des Sonnensystems und darüber hinaus zu schicken. Diese Segel sollen aus sehr großen, hauchdünnen Kunststofffolien bestehen, die anstatt des Windes mit Sonnenlicht vorangetrieben werden.

Lichtteilchen, oder auch Photonen, üben einen schwachen Druck aus, wenn sie von einer reflektierenden Oberfläche abprallen. Seitdem der schottische Physiker James Maxwell in den 1860-er Jahren bewiesen hatte, dass Licht Druck ausübt, sprechen die Visionäre der Weltraumforschung über Sonnensegel. Aufregende neue Entwicklungen lassen deren Vision neuerdings Realität werden.

Im Mai startete die Japanische Weltraumbehörde JAXA erfolgreich das Raumfahrzeug IKAROS. Es ist das erste Raumfahrzeug überhaupt, das sich für den Vortrieb im Weltraum eines Sonnensegels bedient. Das Raumfahrzeug hatte es im Juni geschafft, sein Segel vollständig zu entfalten und reist nun mit Hilfe des Sonnendrucks Richtung Venus.

Am Horizont zeichnen sich zwei weitere Sonnensegel-Starts ab: Die NASA hat für diesen Herbst den Start eines Sonnensegel geplant und die gemeinnützige Planetarische Gesellschaft hat für 2011 einen Start vorgesehen.

Auf dem zweiten Internationalen Symposium zum Sonnensegeln im Juli an der Technischen Hochschule von New York City in Brooklyn stimmten 60 Experten aus der ganzen Welt einstimmig zu, dass "die Sonnensegeltechnologie langfristig für den Raumflugbetrieb lebensfähig ist". Der Ausschuss empfahl, dass die Entwicklung beschleunigt und die Technologie getestet werden solle.

"Das Sonnensegel ist die einzig bekannte Technologie hier auf der Erde, die uns eines Tages zu den Sternen bringen kann", sagte Louis Friedman, geschäftsführender Direktor der Planetarischen Gesellschaft.

Schnelle Sonnensegel

Von Segel angetriebene Raumfahrzeuge könnten dafür eingesetzt werden, die Erde zu überwachen, oder sich nahe der Sonne aufzuhalten, um Sonnenstürme und Sonneneruptionen zu erforschen, meinen Wissenschaftler. Sie könnten ebenso dazu verwendet werden, die Umlaufbahn von Satelliten zu korrigieren, die dieErde umrunden.

Ihr wahres Potenzial mag jedoch ganz woanders liegen. Experten glauben, dass die Sonnensegel das beste Antriebssystem sind, um die äußeren Ränder des Sonnensystems und eines Tages auch andere Sterne zu erkunden. Das kommt daher, dass sie im Gegensatz zu Raketen keinen Treibstoff benötigen und weil sie solange weiter beschleunigt werden, wie Sonnenlicht auf sie trifft. Möglicherweise können Sonnensegel ein Raumfahrzeug zu viel höheren Geschwindigkeiten beschleunigen, als dies mit einem konventionellen Raketenantrieb möglich wäre.

"Wenn man wirklich richtig schnell zum äußeren Rand des Sonnensystems kommen will, sollte man ein Sonnensegel benutzen", äußerte Les Johnson, stellvertretender Leiter des Büros für Fortschrittliche Konzepte am Marshall Raumflugzentrum (MSFC) der NASA. "Einem chemischen System wie einer Raktete würde längst der Treibstoff ausgegangen sein, bevor man dort ankommt. Mit Sonnensegeln ist das anders: solange man Sonnenlicht hat, geht es vorwärts."

Les Johnson
Oben: Les Johnson, stellvertretender Leiter des Büros für Fortgeschrittene Konzepte am Marshall-Weltraumflugzentrum der NASA hält ein starres, leichtgewichtiges Kohlenstoffmaterial in seinen Händen, das für Sonnensegel getestet wird. (Foto: NASA)
Die Sonnensegel der heutigen Generation sind typischerweise aus aluminiumüberzogener Kunststofffolie gefertigt, die nur einen Bruchteil so dick wie ein Müllbeutel sind. Andere Leichtbauwerkstoffe wie Aluminiumoxide oder Kohlefaser werden ebenfalls getestet.

Um aus dem Druck des Sonnenlichtes möglichst viel Kraft erzeugen zu können, müssen die Segel sehr groß sein. Das Prototypsegel COSMOS-1 der Planetarischen Gesellschaft, das wegen eines Raketenfehlers die Umlaufbahn nicht erreicht hatte, hatte eine Oberflächengröße von 600 Quadratmetern. Das entspricht ungefähr der dreifachen Größe eines Tennisplatzes.

Um bis zu den Rändern des Sonnensystems zu gelangen, bräuchte man sehr große Segel. Johnson stellt sich für die nächste Generation an Segeln vor, dass diese pro Seite mehrere hundert Meter lang sein müssten. Sie würden sich nahe der Sonne entfalten, um Vortrieb aufzunehmen und enorme Geschwindigkeiten aufzubauen, sodass sie für den Rest ihres Weges durch das Sonnensystem dahingleiten könnten.

Wissenschaftler schätzen, dass ein Sonnensegel innerhalb von drei Jahren eine Geschwindigkeit von 240.000 km/h erreichen könnte. Mit dieser Geschwindigkeit könnte es den Pluto in weniger als fünf Jahren erreichen. Die Raumsonde VOYAGER der NASA brauchte über 12 Jahre, um eine ähnliche Distanz zurückzulegen.

Die jüngste Raumsonde, die sich Richtung Pluto aufgemacht hat, die NASA-Mission NEW HORIZONS, wird neun Jahre brauchen, um ihr Ziel zu reichen. Sie bedient sich einer Kombination aus Raketenantrieb und Schwerefeldmanövern.

Friedman glaubt, dass eine sonnensegelbetriebene Sonde zur Erforschung des Kuipergürtels mit seinen Weltraumfelsen am Rande des Sonnensystems innerhalb der nächsten 10 Jahre möglich sein sollte.

Hinter der Umlaufbahn des Jupiters wird der Druck des Sonnenlichts jedoch zu gering, um Sonnensegel anzutreiben. Um also über unser Sonnensystem hinaus zu kommen, könnte eine Raumsonde zusätzlichen Vortrieb benötigen. Dafür, so erklärt er, könnte Licht durch einen solarbetriebenen Laser zur Verfügung gestellt werden, der auf halbem Wege zum Rand des Sonnensystems auf einer Umlaufbahn um die Sonne positioniert wird.

Segel setzen für die Zukunft

Der erste Test des Sonnensegelkonzepts der NASA fand 1974 mit ihrer Raumsonde MARINER 10 statt, die dafür entwickelt wurde, an der Venus und am Merkur vorbeizufliegen. Als die Lage des Raumfahrzeugs geändert werden musste und ihm der Treibstoff für seine Triebwerke ausgegangen war, drehten Flugleittechniker seine Solarzellen so, dass sie zur Sonne zeigten. Dadurch konnten sie die Ausrichtung der Sonde durch Ausnutzung des Sonnenlichtdrucks verändern.

In dem Zeitraum zwischen 2001 und 2005 baute die NASA zwei 20-Meter-Segel, die auf der Erde unter Vakuumbedingungen erfolgreich getestet wurden. Im Jahr 2005 versiegte jedoch die Quelle zur Finanzierung der Projekte, sodass sie niemals fliegen konnten.

Etwa zur selben Zeit erschienen erschwingliche, kompakte Picosatelliten, so genannte CubeSats, auf der Bildfläche. Dies stellte eine kostengünstige Möglichkeit dar, ein Sonnensegel zu starten.

Das Ergebnis davon war das NANOSAIL-D, ein diamantenförmiges Segel, das auf jeder Seite drei Meter lang war, aus vier dreieckigen Flügeln gefertigt wurde und in ein 4,5 kg schweres Raumfahrzeug gepackt wurde, das die Größe von einem Stück Bordgepäck hatte. Im Jahr 2008 wurde das NANOSAIL-D an Bord einer FALCON-1-Rakete der Firma SpaceX gestartet, die es aber nicht schaffte, die Umlaufbahn zu erreichen.

Das NANOSAIL-D
Oben: Das NANOSAIL-D der NASA nachdem es im Labor erfolgreich getestet wurde. Nachdem der erste Versuch fehlgeschlagen war, hat die NASA vor, das NANOSAIL-D diesen Herbst erneut zu starten. (Foto: NASA)
Wissenschaftler am Marshall Raumflugzentrum (MSFC) der NASA in Huntsville, Alabama, haben geplant, das NANOSAIL-D diesen Herbst erneut zu starten. Unterdessen baut die Planetarische Gesellschaft am LIGHTSAIL-1, einem 32-Quadratmeter-Segel, das weniger als 5 kg wiegen soll.

Bis zum Start der japanischen Raumsonde IKAROS dieses Jahr wurde noch nie ein Sonnensegel im Weltraum eingesetzt, das hauptsächlich zu Antriebszwecken diente. IKAROS verfügt über ein solarbetriebenes Segel, das den Druck der Sonne zum Vortrieb nutzt, und Dünnschichtsolarzellen darin eingebettet hat, um zusätzlich Strom zu erzeugen.

Das Rahsegel, das an den Seiten jeweils 10 Meter lang ist, wurde entfaltet und wird flach gehalten durch die Drehbewegung der Sonde und den Gewichten, die an seinen vier Ecken befestigt wurden. Das ist das Einzigartige an der japanischen Konstruktion, sagt Friedman, der die Mission "eine große Errungenschaft und einen bedeutenden Schritt in Richtung Sonnensegelflüge" nennt.

Im Gegensatz dazu entfalten das LIGHTSAIL und das NANOSAIL ihre Segel mit Hilfe eines starren Mastes bzw. eines Auslegers, an dem die Flügel des Segels befestigt sind. Diese traditionellere Konstruktion neigt dazu, schwerer zu sein als die IKAROS-Konstruktion.

Johnson meint, dass die größte Herausforderung, die die Ingenieure der NASA zu bewältigen hätten, um sich die Sonnensegelkraft zunutze zu machen, die Ausleger leichter zu machen. Je geringer das Gesamtgewicht des Segels ist, desto mehr wird es durch die Kraft der Sonne beschleunigt. Die Wissenschaftler halten nun für die tragende Struktur nach starken, leichten Materialien Ausschau.

So wie die Forscher der Vergangenheit Segel benutzen, um auf den unbekannten Meeren nach neuen Welten zu suchen, wird es eines Tages vielleicht die Sonnensegeltechnologie ermöglichen, dass Menschen über unser Sonnensystem hinaus reisen und neue und fremde Welten in unserer Galaxie besuchen.

Quelle: Space.com
Bearbeitet von: Joachim Dietlicher


letzte Änderung am 13. September MMX