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Artikel 27. August 2011
ISS könnte ab November unbesetzt sein
Wenn SOJUS-Untersuchungskommission bis dahin kein Ergebnis vorweist, muß die Besatzung die Station ohne Ablösung verlassen

Start von PROGRESS
Oben: Der Start von PROGRESS M-12M auf der Spitze einer SOJUS-Trägerrakete am Mittwoch, 24. August verunglückte kurz nach dem Start um 15 Uhr MESZ aufgrund einer Anomalie in der Triebwerkssteuerung der dritten Stufe. (Photo: Tsenki TV)
Astronauten könnten schon vor Ende des Jahres gezwungen sein, die Internationale Raumstation zu verlassen, wenn Rußland nicht in der Lage ist, die bemannten Flüge ihrer SOJUS-Trägerraketen nach dem mißglückten Start eines Frachttransporters in der letzten Woche wieder aufzunehmen, wie Verantwortliche der NASA verlauten ließen.

Trotz der Lieferung von wichtigen Versorgungsgütern durch die letzte Space-Shuttle-Mission im Juli, könnten Sicherheitsbedenken bezüglich im Winter zur Erde zurückkehrender SOJUS-Raumkapseln dazu führen, daß die Raumstation schon im November unbemannt zurückgelassen werden muß, wie der Leiter des ISS-Programms bei der NASA, Michael Suffredini erklärte.

"Vom logistischen Standpunkt können wir den Betrieb nahezu für immer fortsetzen, aber wenn wir am Ende kein SOJUS-Raumfahrzeug sehen, müssen wir möglicherweise noch vor Ende des Jahres den Betrieb unbemannt weiterführen", meinte Suffredini in einem Interview am Donnerstag, einen Tag, nachdem Rußland eine SOJUS-Trägerrakete mit einem zur ISS startenden PROGRESS-Transporter verloren hatte.

Eine SOJUS-Trägerrakete war am Mittwoch nur Minuten nach dem Start vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan abgestürzt. Die dritte Stufe der SOJUS-U Trägerrakete hatte gerade gezündet, als irgendetwas das Raumfahrzeug veranlasste, das RD-0110-Triebwerk zu früh abzuschalten. Die Trümmer der Rakete und ihrer Nutzlat, des Transporters PROGRESS M-12M wurden im Altai-Gebirge in Südsibirien, rund 1600 km vom Startplatz entfernt, verstreut, wie russische Medien berichteten.

Die dritte Stufe der SOJUS-U ist nahezu identisch zu der, die von den SOJUS-FG-Trägerraketen verwendet werden, mit denen die bemannten SOJUS-Raumfahrzeuge in's All geschossen werden.

Das Problem ereignete sich am Mittwoch rund fünfeinhalb Minuten nach dem Abheben, als ein Drucksensor der Rakete einen niedrigen Druck anzeigte, wie Suffredini berichtete.

"Sie haben Daten, die zeigen, daß das Triebwerk abgeschaltet wurde, weil auf der Brennstoffseite anscheinend ein niedriger Druck aufgetreten ist. Sie haben Daten gesehen bis zu dem Punkt, wo das Raumfahrzeug auseinandergebrochen ist", erläuterte Suffredini. "In diesem Fall wissen sie zumindest, wo der wahrscheinliche Bereich ist, in dem die Anomalie aufgetreten ist, daher können sie ihre Aufmerksamkeit darauf konzentrieren."

SOJUS
Oben: Ein russisches SOJUS-Raumfahrzeug kurz vor dem Ankoppeln an der Internationalen Raumstation. (Photo: NASA)
Die russische Raumfahrtbehörde hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, die die Ursache für das Unglück ermitteln und eine Empfehlung für Verbesserungsmaßnahmen geben soll, während andere Gruppen damit beauftragt wurden, Ausführungspläne für das russische bemannte Raumfahrtprogramm zu bewerten und die Fertigungsqualität der russischen Raumfahrtindustrie zu überprüfen.

"Wir werden zu unserer Zufriedenheit die Anomalie verstehen, von der angenommen wird, daß sie die Ursache ist, und wir wir sie beheben", erklärte Suffredini. "Sollten wir damit nicht glücklich sind, werden wir unsere Astronauten nicht in die SOJUS setzen."

NASA-Astronaut Dan Burbank und die Kosmonauten Anton Schkaplerow und Anantolij Iwanischin bereiten sich derzeit für ihren Flug zur Internationalen Raumstation am 22. September vor, aber dieser Flug wird aufgrund des Unglücks vom Mittwoch wahrscheinlich bis mindestens in den Oktober verschoben.

Der Unfall der SOJUS-Rakete war der zweite Fehlstart Fehlstart in Folge für Rußland. Bereits am 17. August war ein Kommunikationssatellit von einer PROTON-Trägerrakete aufgrund einer Fehlfunktion der BREEZE-M-Oberstufe in einer zu niedrigen Umlaufbahn ausgesetzt worden.

Die Ingenieure sollen am Montagnachmittag der Stationsleitung Daten präsentieren, die zu der formellen Entscheidung führen könnte, den Aufenthalt von drei Astronauten an Bord der ISS über ihr geplantes Landedatum 8. September hinaus zu verlängern.

Stationskommandant Andreij Borisenko, der russische Kosmonaut Alexander Samokutjaew und NASA-Flugingenieur Ron Garan waren am 4. April zum Orbitalkomplex geflogen und hatten geplant, den Außenposten am 8. September zu verlassen und zur Erde zurückzukehren.

Die Verantwortlichen könnten in dieser Woche entscheiden, ihre Mission zu verlängern, wie Suffredini ausführte.

Die SOJUS TMA-21 der drei Raumfahrer kann bis zu 210 Tage an der Raumstation angekoppelt bleiben. Die Lebensdauer, für die sie ausgelegt und zertifiziert wurde, läuft im Oktober ab und Suffredini meinte, er erwarte bei der Fortführung der Mission bis dahin keine Probleme.

Expedition 28 Besatzung
Oben: Die Expedition 28 Besatzung, die derzeit auf der Internationalen Raumstation ist: Vorne die Besatzung von SOJUS TMA-21, Ron Garan, Andreij Borisenko und Alexander Samokutjaew; dahinter die Besatzung von SOJUS TMA-02M, Sergeij Wolkow, Mike Fossum und Satoshi Furukawa. (Photo: NASA)
Die andere Hälfte der sechsköpfigen Stationsbesatzung, NASA-Flugingenieur Michael Fossum, der russische Kosmonaut Sergeij Wolkow und der japanische Astronaut Satoshi Furukawa sollen am 16. November nachhause zurückkehren.

"Die November-Besatzung hat ein etwas anderes Problem", meinte Suffredini. "Wenn wir nicht bis dahin [mit einer neuen Besatzung] gestartet sind und die Raumstation verlassen müssen, dann werden wir das aller Voraussicht nach Mitte November tun müssen."

Die SOJUS-Kapsel dieser Besatzung mit der Bezeichnung SOJUS TMA-02M war am 7. Juni gestartet und müßte bis spätestens Anfang Januar zur Erde zurückkehren.

"Eine unserer Bedingungen für die Landung ist, daß sie bei Tageslicht durchgeführt werden muß, und sie muß innerhalb einer Stunde nach Sonnenaufgang und einer Stunde vor Sonnenuntergang erfolgen", erläuterte Suffredini. "Am 19. November erreichen wir eine Ausschlußphase, wenn es [bei der Landung] dunkel wird."

Das nächste Fenster für eine Tageslichtlandung öffnet sich Ende Dezember, aber die Verantwortlichen bei der NASA und den Russen haben Bedenken bezüglich einer Landung bei extremen winterlichen Bedingungen in der SOJUS-Landezone in der kasachischen Steppe.

"Das Wetter ist dort im Winter sehr heftig", meinte Suffredini. "Daher ist dies aus Sicht der Such- und Bergungsoperation etwas, was wir lieber vermeiden wollen. Und selbst wenn es unsere Bedingungen erfüllen würde, wollen wir nicht zwei Stunden vor Sonnenuntergang landen. Wenn dabei auch nur das geringste Problem auftritt, könnte es passieren, daß wir mitten in der Nacht im dicksten Schneesturm nach der Besatzung suchen."

ISS
Oben: Die ISS, photographiert von der Raumfähre ATLANTIS nach dem Ablegen vom Außenposten. (Photo: NASA)
Die Leitzentren für die Raumstation in Houston und Moskau sind dafür ausgestattet, den ca. €70 Milliarden teuren Außenposten vom Boden aus zu überwachen und zu betreiben, aber die Station unbemannt zu lassen würde vielversprechende medinische Forschungsvorhaben pausieren lassen und elf Jahre ununterbrochenen bemannten Betrieb unterbrechen.

"Ich denke mal, wenn wir auf den 16. November zugehen und bis dahin keine SOJUS gestartet haben, und dann bereits auf eine dreiköpfige Besatzung reduziert haben, werden wir die [Rest-]Besatzung zurückholen und mit der ISS in den unbemannten Betrieb übergehen", meinte Suffredini

Es wird erwartet, daß Rußland in dieser Woche einen Plan mit vorläufigen Terminen präsentieren wird, wann sie wieder SOJUS-Trägerraketen starten wollen. Ein Szenario, das derzeit diskutiert wird, sähe den Start von mindestens zwei unbemannten SOJUS-Raketen mit RD-0110-Oberstufen vor, bevor der nächste bemannte Start folgen kann.

Ein kommerzieller Start von sechs einer US-Gesellschaft gehörenden Kommunikationssatelliten vom Typ GLOBALSTAR waren für den Start Anfang Oktober vorgesehen und Rußland könnte außerdem den Start des nächsten PROGRESS-Transporters von Ende Oktober auf früher im Monat vorverlegen.

"Das wäre dann eine Philosophie, bei der man sagt: Laßt und das Problem beheben und ein paar Testflüge absolvieren, bevor wir [wieder] eine Besatzung starten", erklärte Suffredini. "Sie müssen berücksichtigen, daß wir nicht mit dieser Anomalie fliegen wollen. Wir werden nicht fliegen, solange wir wissen, daß diese Anomalie da ist. Ich erwarte, daß wir die Grundursache bestimmen, sie reparieren und dann diese Flüge machen."

Rußland hatte sich bereits einmal im Jahr 2002 von einem Raketenabsturz im Jahr 2002 erholt und nur zwei Wochen später drei Raumfahrer in's All geschossen.

"Ich bin voll und ganz davon überzeugt, daß unsere russischen Kollegen diese Anomalie beheben werden und zwar auf eine sichere Weise. Alleine zu sehen, wie viele Daten sie über die Anomalie haben, ist einfach phantastisch", meinte Suffredini. "Ich denke, wenn alles so wie geplant läuft, werden wir uns etwa zu der Zeit äußern, wenn wir den kommerziellen Flug starten, daß wir den PROGRESS in der Hoffnung starten, bis November eine SOJUS gestartet zu bekommen."

Quelle: Spaceflight Now
Bearbeitet von: Matthias Pätzold

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letzte Änderung am 29. August MMXI