Bericht 6. September 2008 |
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ROSETTA passiert erfolgreich Asteroid Steins
Erster Asteroidenvorbeiflug einer europäischen Raumsonde - Generalprobe für Vorbeiflug am größeren Asteroiden Lutetia in 2010
Dr. David Southwood, der ESA-Direktor für Wissenschaft und robotische Weltraumerkundung meinte am Samstag Mittag auf der Pressekonferenz am Raumfahrtbetriebszentrum (ESOC) der ESA in Darmstadt, von wo aus die ROSETTA- Mission gesteuert wird: "Es ist eine großartige Mission. Man bekommt nicht so häufig die Gelegenheit so nah an einem der kleinen Objekte vorbeizufliegen." Der Vorbeiflug ist der erste einer europäischen Raumsonde an einem Asteroiden. ROSETTA war am 2. März 2004 auf der Spitze einer Ariane 5 Trägerrakete gestartet worden. In den vergangenen viereinhalb Jahren ist die Sonde zweimal an der Erde und einmal am Mars vorbeigeflogen, um für ihre Reise zum Kometen Tschurjumow-Gerasimenko, den sie im November 2014 erreichen soll, genügend Schwung zu holen. Durch geschickte Planung der Bahn war es dabei möglich, auch nahe Vorbeiflüge an den Asteroiden Steins und Lutetia zu planen, deren Untersuchung, wenn auch nicht intensiv, zumindest wichtige Aufschlüsse über das Material bringen soll, aus dem das Sonnensystem entstanden ist. Davon ist im Asteroidengürtel noch reichlich vorhanden, da, wie ROSETTA- Projektwissenschaftlerin Rita Schulz erklärte, die Akkumulation der planetaren "Embrios", der sogenannten Planetesimale, dort gestoppt wurde, als sich der Jupiter gebildet hatte. Die Himmelskörper dort bieten also einen hervorragenden Blick zurück in die Zeit, als das Sonnensystem entstand.
Für die Flugleittechniker, wie Andrea Accomazzo vom ESOC erklärte, lag die Herausforderung darin, einen möglichst präzisen Vorbeiflug an einem Himmelskörper durchzuführen, von dem bislang so gut wie nichts bekannt war (selbst die Bahn war nicht exakt bestimmbar gewesen), und gleichzeitig so viele Wünsche der Wissenschaftler wie möglich zu erfüllen. Im Juli war ROSETTA aus ihrem Winterschlaf aufgeweckt worden, um für den Vorbeiflug an Steins vorbereitet zu werden. Um die Bahn von ROSETTA möglichst präzise einzustellen, begann man bereits im August damit, durch optische Beobachtungen der OSIRIS-Kameras die Bahn von Steins nachzubestimmen. Aus den optischen Daten konnten so die Steuerdaten für zwei Bahnkorrekturmanöver errechnet werden, die ROSETTA schließlich mit einer Genauigkeit von weniger als 2 km bei 800 km Entfernung am Asteroiden vorbeiführte. Um den Wissenschaftlern möglichst viel Beobachtungszeit für ihre Instrumente zu bieten, wurde die Raumsonde während der Phase der größten Annäherung autonom gesteuert über die Navigationskameras nachgeführt, was ihre Steuermomentenkreisel bis an die Grenze beanspruchte. Eine Annäherung von unter 800 km wäre nicht machbar gewesen, da dann eine noch höhere Rotationsgeschwindigkeit des Raumfahrzeugs nötig gewesen wäre, die die Kreisel nicht zu leisten vermocht hätten.
Während dieser Phase wurde auch die Antenne des Kometenorbiters von der Erde weggedreht, was für einen vorübergehenden Ausfall der Telemetrieübertragung ab 20:18 MESZ Erdzeit führte. Nach Abschluß des Manövers wurde die Antenne erneut auf die Erde gerichtet und Telemetriedaten konnten ab 22:14 Uhr MESZ wieder von den Antennenanlagen der NASA in Goldstone, Kalifornien und der ESA in New Norcia, Australien empfangen werden. Zwei Stunden nach der größten Annäherung begann ROSETTA mit der Übertragung der ersten beim Vorbeiflug gewonnenen Daten, zunächst Telemetriedaten der Sondensysteme. Dabei schwächelte die Empfangsanlage des Weltraumkommunikationsnetzwerkes (DSN) der NASA in Goldstone kurzzeitig, aber da die Sendungen parallel auch von New Norcia empfangen wurden und später zur Sicherheit erneut gesendet wurden, gingen keine wichtigen Daten verloren. Eine andere Herausforderung war, die thermische Belastung durch die Sonneneinstrahlung auf kalte Flächen des Raumfahrzeugs so gering wie möglich zu halten, damit sich die Sonde nicht ungleichmäßig aufheizte. ROSETTA mußte deshalb nach dem Vorbeiflug möglichst schnell wieder in die ursprüngliche Orientierung zur Sonne zurückgedreht werden, was die Dauer der möglichen Beobachtungen begrenzte.
Nichtsdestoweniger sorgen die seit 2 Uhr nachts MESZ übermittelten wissenschaftlichen Daten für Verzückungen bei den Forschern. Zum einen ließ sich mit den Bildern der OSIRIS-Kameras bestimmte Eigenschaften des Asteroiden wie Größe (5,9 x 4,0 km) und Rückstrahlfähigkeit (Albedo - 0,35) wesentlich genauer bestimmen, zum anderen geben auch einige Oberflächendetails Hinweise auf eine wilde Vergangenheit. OSIRIS setzt eine Weitwinkelkamera (WAC) mit einer Auflösung von 42 Bogensekunden pro 2 Pixel (entspricht 160 Metern auf 800km Entfernung) und eine Schmalwinkelkamera (NAC) mit einer Auflösung von 8 Bogensekunden pro 2 Pixeln (32 m auf 800 km) für die Beobachtung ein. Während der Annäherung fiel allerdings die NAC aus, da aufgrund zu konservativ definierter Parameter die Kamera ihre Betriebsgrenzen überschritten sah und in den sicheren Modus wechselte. Dies ist aber kein schwerwiegendes Problem; die Kamera ist nach Aussage von Dr. H. Uwe Keller, der Projektwissenschaftler für OSIRIS, in perfektem Zustand und man nimmt dies zum Anlaß für den Vorbeiflug von Lutetia die Betriebsparameter neu anzupassen, damit dies nicht erneut auftritt.
Ein weiterer Krater auf der schlechter beleuchteten Rückseite des Asteroiden, ähnlich groß wie der auf der Nordseite, läßt vermuten, daß der Körper nur knapp an einem vollständigen Auseinanderbrechen vorbeigegangen ist. Die Wissenschaftler vermuten, daß der Aufprall eines Objektes nicht nur den tiefen Krater geschlagen, sondern auch Risse produziert hat, die die Integrität des Brocken erheblich geschwächt haben. Was aus der Auswertung der übermittelten Daten noch zu erwarten ist findet sich vor allem im Bereich der Mineralogie, wo man anhand von Vergleichen der NAC-Bilddaten mit den Spektren von Meteoriten und mit zusätzlichen photometrischen Messungen die Oberflächenzusamensetzung, insbesondere die Verteilung des Weltraumminerals Regolith genauer bestimmen will. Anhand der Bilder will man die äußere Form und die Topographie detaillierter erfassen und anhand der Zählung der Krater eine Altersbestimmung durchführen. Ursprünglich nicht geplant wurde bei dem Vorbeiflug auch das Radiowissenschaftliche Experiment RSI eingesetzt. RSI verwendet die Hochleistungsantenne der Raumsonde. Physikalische Veränderungen des ausgesandten Telemetriesignals, z.B. gravitative Ablenkung, lassen Rückschlüsse auf das Schwerefeld des Asteroiden zu. Damit lässen sich Masse, Massenverteilung und auch Zusammensetzung des Asteroiden genauer bestimmen. Das Experiment war allerdings zeitlich begrenzt, da während des eigentlichen Vorbeifluges die Antenne von der Erde weggedreht wurde. Auch wenn der Vorbeiflug, wie Schwehm explizit bemerkte, nicht ausschließlich als realistischer Test für die Funktionsfähigkeit der Orbiterinstrumente diente, war es dennoch eine Generalprobe für den für Juni 2010 vorgesehenen Vorbeiflug an dem größeren und interessanteren Asteroiden (21) Lutetia, bei der das Gesamtvorbeiflugsszenario und das Zusammenspiel aus Raumfahrzeugssystemen und wissenschaftlichen Instrumenten unter realistischen Betriebsbedingungen getestet werden konnte. Als nächstes steht für ROSETTA der dritte und letzte Vorbeiflug an der Erde an, der am 13. November 2009 erfolgen soll. Dabei bekommt die Sonde genügend Schwung, um bis zu Lutetia und Tschurjumow-Gerasimenko herausgetragen zu werden. Quelle:
Space Science Journal, Matthias Pätzold
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