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Bericht 11. Oktober 2018
Sojus nach Fehlstart weich gelandet
Besatzung wohlauf - Roskosmos hat Untersuchungskommission eingesetzt - Auswirkungen auf ISS-Betrieb noch unklar

Start von Sojus MS-10
Oben: Der Start von Sojus MS-10. Am Anfang verlief alles nach Plan, doch unmittelbar nach dem Abtrennen der vier Startraketen trat eine Fehlfunktion auf. (Photo: Roskosmos)
Es sollte ein sechsstündiger Flug mit anschließendem halbjährigem Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation werden. Doch der Raumflug des russischen Kosmonauten Alexej Owtschinin und des US-amerikanischen Astronauten Nick Hague endete schon nach weniger als 20 Minuten in der Steppe Kasachstans.

Zunächst verlief alles wie geplant. Mit dem Ende des Countdowns um 10:40 Uhr MESZ zündeten die Erststufenmotoren des Sojus-FG-Trägers und hoben das Raumfahrzeug mit Owtschinin und Hague an Bord von der Startrampe des Kosmodroms Baikonur in Kasachstan aus in den Himmel. Doch nur zwei Minuten später, unmittelbar nach dem Abtrennen der vier angeflanschten Startraketen, ereignete sich eine Fehlfunktion, die dazu führte, daß sich das Sojus-Raumfahrzeug vorzeitig vom Träger lösen mußte und auf einem ballistischen Kurs zur Erde zurückkehrte.

Bahnverfolgungskameras mit Langreichweiten-Teleobjektiven erfaßten neben den vier abfallenden Startraketen offenbar auch eine Anzahl weiterer Objekte, die sich vom Träger gelöst hatten. Kurz danach meldete auch Owtschinin, der Kommandant der Sojus MS-10: "Fehlfunktion des Trägers! Fehlfunktion des Trägers!" Ein paar Momente danach bestätigte er, daß sich das Sojus-Raumfahrzeug von der Oberstufe des Trägers gelöst hatte. "Wir sind schwerelos."

In den folgenden Minuten berichtete er weiter, daß die Sojus in die Erdatmosphäre wieder eingetreten sei und sie erhöhten G-Kräfte ausgesetzt seien. "Wir sind jetzt bei 6,7 g." Und etwas später: "Wir fühlen eine Rotation, die G-Kräfte gehen runter. Jetzt bei 2,72 g und weiter sinkend."

Die Kommunikation mit der Besatzung brach danach (zumindest für die Zuschauer des NASA TV Livestreams) ab. Entweder aufgrund einer Fehlfunktion, oder weil NASA und Roskosmos entschieden hatten, die weitere Kommunikation nicht-öffentlich zu halten.

Landung der Sojus MS-10
Oben: Die Sojus MS-10 schwebt am Fallschirm zur Erde zurück. Sie landete etwa 20 Kilometer östlich der kasachischen Stadt Dscheskasgan, eigentlich ein typisches Gebiet für "normale" Sojus-Landungen. (Photo: Roskosmos)
Die Landung der Sojus MS-10 erfolgte wohl kurz vor 11 Uhr rund 20 km östlich der kasachischen Stadt Dscheskasgan. Bergungsmannschaften, die kurz zuvor in Baikonur in Hubschraubern aufgestiegen waren, erreichten die Landestelle aber erst nach 12 Uhr. Sie hatten aber die ganze Zeit über Kontakt mit der Besatzung, die wohlauf war.

Nach der Bergung wurden Hague und Owtschinin zunächst nach Dscheskasgan gebracht, wo sie medizinisch untersucht wurden. Roskosmos postete später einige Photos, die die beiden Raumfahrer bei Kaffee und Keksen und im Gespräch mit Dmitri Rogosin zeigen. Rogosin, der vor wenigen Wochen erst Generaldirektor von Roskosmos geworden war, schrieb später auf Twitter, daß eine Kommission den Unfall untersuchen werde, und "das Notfall-Rettungssystem der Sojus-MS hat funktioniert. Die Besatzung ist sicher."

Auch NASA-Administrator Jim Bridenstine, der beim Start in Baikonur vor Ort war und der sich in dieser Woche zum ersten Mal mit Dmitri Rogosin getroffen hatte, erklärte, daß es eine gründliche Untersuchung des Vorfalls geben werde.

Dies war das erste Mal seit 1975, daß ein Sojus-Raumfahrzeug bei einem Versagen seines Trägers eine Notlandung durchführen mußte. Damals war der Flug von Sojus 18 zur sowjetischen Raumstation Saljut 4 knapp 5 Minuten nach dem Abheben unterbrochen worden. Die Besatzung hatte damals Berichten zufolge bei dem Abstieg sogar kurzfristig 21 g ertragen müssen.

Wie die NASA inzwischen bestätigt hat, hat die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos eine Kommission eingesetzt, die den Vorfall genau untersuchen soll. Die Zeit drängt. Die Expedition 57 Besatzung der Internationalen Raumstation, die seit einer Woche unter dem Kommando des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst steht, soll in zwei Monaten zur Erde zurückkehren. Ihr Sojus-Raumfahrzeug, die MS-09, ist für eine maximale Aufenthaltsdauer von 200 Tagen im All ausgelegt. Diese sind Mitte Dezember erreicht, weshalb die Rückkehr von Gerst's Besatzung für den 13. Dezember terminiert ist. Wenn bis dahin keine Ablösung auf dem Außenposten eintrifft, wird Gerst als der erste ISS-Kommandant in die Geschichte eingehen, der hinter sich das Licht auf der Station ausmachen mußte. Ihre Ablösung wäre die Expedition 58 Besatzung aus Sojus-Kommandant Oleg Kononjenko, NASA-Astronautin Anne McClain und dem kanadischen Astronauten David Saint-Jaques, deren Start an Bord der Sojus MS-11 eigentlich für den 20. Dezember vorgesehen war. In den sieben Tagen dazwischen hätten eigentlich Hague und Owtschinin den Laden schmeißen sollen.

Alexej Owtschinin und Nick Hague
Oben: Kosmonaut Alexej Owtschinin und Astronaut Nick Hague nach einem Test vor ihrer Sojus MS-10, die sie heute nach dem Fehlstart sicher wieder zur Erde zurückgebracht hat. (Photo: NASA/Victor Selentsow)
Für die nächste Zeit ergeben sich einige wichtige Veränderungen. Zwei Außeneinsätze, die von Gerst und Hague am 19. und 25. Oktober durchgeführt werden sollten, um einige Batterien an der Außenseite der Station auszutauschen, werden aufgeschoben. Auch die wissenschaftliche Arbeit an Bord der Station wird reduziert werden müssen, da nun zwei Besatzungsmitglieder weniger zur Verfügung stehen. Die Starts von zwei amerikanischen Versorgungstransportern im November werden wohl wie geplant durchgeführt werden. Wie es aber mit dem für Ende des Monats geplanten Start eines russischen Progress-Transporters bestellt ist, ist noch unklar.

Dieser Vorfall kommt nicht ohne Vorzeichen. Schon seit einigen Jahren läuft es in der russischen Raumfahrt nicht mehr rund. Gerade in den letzten zwei bis drei Jahren häufen sich Vorfälle, die alle eine Ursache gemeinsam haben: mangelnde Qualitätssicherung.

Im Juni 2016, beim Start von Intelsat 31, schaltete ein Triebwerk der zweiten Stufe des Proton-Trägers vorzeitig ab. Da dies nur zu einem Leistungsverlust der zweiten Stufe führte, der durch eine längere Brenndauer der Bris-M-Oberstufe ausgeglichen werden konnte, war die Untersuchung des Vorfalls nicht sonderlich umfassend.

Das änderte sich erst, als Anfang Dezember 2016 der Transporter Progress MS-04 einen Fehlstart hatte und über Sibirien abstürzte. Die eingesetzte Untersuchungskommission ermittelte, daß das Oberstufentriebwerk des Sojus-U-Trägers vom Typ RD-0110 eine Fehlfunktion erlitten hatte, entweder aufgrund eines Fremdkörpers in der Treibstoffleitung, oder durch Nichteinhaltung der Montagevorschriften(!).

Hague und Rogosin
Oben: Nach der Landung wurden Hague und Owtschinin zunächst nach Dscheskasgan gebracht, wo sie medizinisch untersucht wurden. Hier ist Nick Hague im Gespräch mit Roskosmos-Generaldirektor Dmitri Rogosin. Hague hat noch das Blutdruck-Meßgerät am Arm. Auf dem Tisch stehen Kaffee und Kekse. (Photo: Roskosmos)
Bei der Durchsuchung der Maschinenfabrik Woronesch, wo sowohl das RD-0110, als auch das RD-0210 der Proton-Zweitstufe hergestellt wird, fand man Proton-Triebwerke, bei denen nicht zugelassene aber deutlich günstigere Legierungen beim Hitzeschutz verbaut worden waren, als die Konstruktionszeichnungen verlangten. Man deckte in der Folge einen umfassenden Betrugsskandal auf, der wohl auch ohne das Schmieren der Qualitätssicherung nicht funktioniert hätte. Der damalige stellvertretende russische Ministerpräsident Dmitri Rogosin, dessen Ressort die Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie war, polterte auch gleich medienwirksam herum und kündigte an, daß die Verantwortlichen bestraft werden würden.

Eine wichtige Reaktion auf den Absturz des Progress' war, daß der Sojus-U-Träger ausgemustert wurde und alle nachfolgenden Progress-Transporter nunmehr auf der moderneren Sojus 2.1a gestartet werden. Die Russen wollten auch die Sojus-Raumfahrzeuge auf der Sojus 2.1a starten, doch hier sperrte sich die NASA, die den Träger als zu unerprobt für den Einsatz bei bemannten Raumfahrzeugen ansah. So wurde der erste Start eines Sojus-Raumfahrzeuges auf einer Sojus 2.1a auf nächstes Jahr verschoben, für den Start der Sojus MS-12. Damals wäre dies der erste Start nach der Indienststellung der bemannten kommerziellen amerikanischen Raumfahrzeuge gewesen. Diese hat sich aber inzwischen auf die zweite Hälfte von 2019 verschoben, mit ersten Testflügen von Dragon und CST-100 Starliner im Januar bzw. März 2019.

Ein Start auf einer Sojus 2.1a hätte aber auch nicht den Vorfall bei der Landung der Sojus MS-02 Anfang April 2017 verhindert. Hier brach beim Öffnen des Fallschirmbehälters eine Schweißnaht, wodurch die Kapsel an Kabinenluft verlor. Auch hier kann die Ursache nur mangelnde Qualitätssicherung sein, denn die Struktur der Sojuskapsel ist seit nahezu 50 Jahren eine bewährte Konstruktion. Entweder wurden die Schweißnähte, wenn überhaupt, nicht richtig geprüft, oder die Prüfungsergebnisse entweder nicht richtig interpretiert oder gar ignoriert. Eine fehlerhafte Schweißnaht hätte in jedem Fall von er zerstörungsfreien Werkstoffprüfung erkannt und anschließend von den Schweißern korrigiert werden müssen.

Expedition 57 Besatzung
Oben: Die Expedition 57 Besatzung, wie sie eigentlich jetzt auf der ISS hätte sein müssen. Von links: Serena Auñón-Chancellor, Alexeij Owtschinin, Kommandant Alexander Gerst, Nick Hague und Sergeij Prokopjew. (Photo: NASA)
Und zuletzt ist da noch die Geschichte mit dem Loch in der Sojus MS-09, durch das Kabinenluft der ISS ausgeströmt war. Hier gehen die Vermutungen soweit, daß wohl ein Arbeiter in der Vorabfertigung das Loch aus Versehen gebohrt, dann seinen Fehler erkannt und das Loch zugespachtelt hatte. Im All ist die Spachtelmasse dann bröckelig geworden und wurde vom Kabinendruck herausgepresst. Der Versuch einiger hoher Funktionäre bei Roskosmos, allen voran Dmitri Rogosin, den Schuldigen unter der Stationsbesatzung zu suchen, wurde zu Recht von Expedition 56 Kommandant Drew Feustel energisch zurückgewiesen.

Alles in allem wäre es also nicht verwunderlich, wenn die Untersuchungskommission von Roskosmos herausfindet, daß auch dieses Mal mangelnde Qualitätssicherung für den Fehlstart und die Notlandung der Sojus verantwortlich war. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann es ein Sojus-Raumfahrzeug trifft.

Der Staatsführung in Moskau ist das Problem bewußt. Erst vor wenigen Wochen hat Präsident Putin bei einer Konferenz mit den Spitzenfunktionären von Roskosmos angemahnt, die Qualitätssicherung unbedingt zu verbessern, wie dies auch schon Rogosin Anfang letzten Jahres nach dem Bericht der Progress-Unfalluntersuchungskommission und der Aufdeckung des Betrugsskandals in Woronesch getan hatte.

Ein Gutes hat der Unfall allerdings. Er könnte dazu führen, daß die Sojus-FG-Trägerraketen früher als geplant ausgemustert und zukünftige Sojus-Raumfahrzeuge auf der Sojus 2.1a gestartet werden. Möglicherweise könnte das sogar noch bis Dezember geschehen. Aber das ist im Moment noch Spekulation.

Quelle: Spaceflight Now, Space.com, NASA, Roskosmos
Bearbeitet von: Matthias Pätzold


letzte Änderung am 11. Oktober 2018