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Artikel 22. Juni 2018
NASA-Astronautin Jeanette Epps äußert sich zum ersten Mal über ihren überraschenden Abzug von der Expedition 56 Besatzung
Epps hätte jetzt mit Gerst und Prokopjew auf der ISS sein sollen - gesundheitliche und familiäre Gründe für den Austausch lagen nicht vor

Jeanette Epps im Interview auf der TOA 2018
Oben: Jeanette Epps äußerte sich bei einem Interview im Rahmen der Tech Open Air 2018 in Berlin erstmals über ihren überraschende Abzug von der Expedition 56/57 Besatzung im Januar diesen Jahres. (Photo: Space.com)
Es kommt immer wieder einmal vor, daß Astronauten von einem Raumflug, für den sie trainieren, abgezogen und durch jemanden aus der Ersatzbesatzung ersetzt werden. Die üblichen Gründe dafür sind gesundheitliche oder familiäre Probleme, die sich unerwartet ergeben.

So wie z. B. bei Karen Nyberg, die für einen der letzten Space Shuttle Flüge im Jahr 2010 vorgesehen war. Die NASA zog sie noch recht früh aus der Besatzung ab, und zwar "aufgrund eines vorübergehenden medizinischen Zustandes", wie die Raumfahrtbehörde damals in der Presseerklärung dazu schrieb. 2015 durfte Nyberg dann als Besatzungsmitglied zur ISS fliegen. Ein Photo, das kurz vor dem Start in Moskau aufgenommen wurde, zeigt sie, ihren Mann und ihren fünfjährigen Sohn vor der Kremlmauer.

Ganz anders aber bei Jeanette Epps. Epps war für die Expedition 56/57 Besatzung vorgesehen, und hätte eigentlich zusammen mit dem russischen Kosmonauten Sergeij Prokopjew und dem deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst Ende April mit der SOJUS MS-09 zur Internationalen Raumstation starten sollen.

Stattdessen wurde sie im Januar von der Mission abgezogen und durch Serena Auñón-Chancellor ersetzt, die ursprünglich für eine Mission im nächsten Jahr trainiert hatte. Etwa zeitgleich wurde auch der Start der Sojus von Ende April auf Anfang Juni verschoben. Gerst, Prokopjew und Auñón-Chancellor leben und arbeiten inzwischen seit gut zwei Wochen auf dem orbitalen Außenposten.

Epps äußerte sich nun in einem Interview im Rahmen der Tech Open Air 2018 in Berlin zum ersten Mal über ihren überraschende Abzug von der Missionszuteilung. Sie erklärte, daß gesundheitliche und familiäre Gründe bei ihr definitiv keine Rolle gespielt hätten.

"Ich weiß nicht, wo die Entscheidung getroffen wurde und wie sie zustande gekommen ist, weder im Detail noch auf welcher Ebene", erklärte sie.

Expedition 56 Besatzung
Oben: Die derzeitig an Bord der ISS befindliche Expedition 56 Besatzung. Von links: Oleg Artemjew, Drew Feustel, Ricky Arnold, Sergeij Prokopjew, Alexander Gerst und Serena Auñón-Chancellor. (Photo: NASA)
Epps hat Luft- und Raumfahrttechnik studiert und hat erst bei Ford als Ingenieurin und dann als technische Analystin für die CIA gearbeitet, bevor sie 2009 in das NASA-Astronautenkorps aufgenommen wurde. Die Mission zur ISS wäre ihre erste gewesen und sie wäre dabei auch das erste afro-amerikanische Besatzungsmitglied der ISS geworden. Zwar waren bereits andere Afro-Amerikaner auf der ISS, die waren aber nur für kurzfristige Missionen als Besatzungsmitglieder einer amerikanischen Raumfähre zum Außenposten geflogen.

Epps zeigte sich vor allem irritiert über den späten Zeitpunkt des Austausches.

"All das Training, das ich in Houston, Rußland, Deutschland und Japan absolviert habe - das war alles abgeschlossen", erläuterte sie. Sie zeigte sich besorgt, daß die ganze Arbeit, um sie für einen Start auf einer russischen Sojus vorzubereiten, vergeudet gewesen sein könnte, wenn sie nicht bald schon auf eine andere Mission zugewiesen würde.

"Ich denke, daß wir schon bald keine Sojus-Sitze mehr zur Verfügung haben werden, da wir derzeit kommerzielle bemannte Raumfahrzeuge von Elon Musks SpaceX und von Boeing bauen lassen", meinte Epps. "Wir werden weniger und weniger russische Sitze in Anspruch nehmen, daher bin ich nicht sicher, falls ich in Zukunft einer Mission zugewiesen werden sollte, diese auf einer Sojus starten wird, und das obwohl ich all das ganze Training in Rußland bereits hinter mir habe."

Epps glaubt auch nicht, daß die Entscheidung von den russischen Kollegen angestoßen wurde.

"Ich bin mit ihnen zusammen durch das ganze Training gegangen und denke, daß ich mit ihnen eine wirklich gute Arbeitsbeziehung aufbauen konnte", meinte sie.

"Ich denke, daß möglicherweise einige der [russischen Partner] davon gewußt haben könnten, daß die NASA darüber nachdachte [, mich von der Mission abzuziehen], aber sie bestanden darauf, daß ich das ganze Training zuende führe, selbst bis zu den Anzug-Dichtigkeitstests und den Paßtests für die Sojus-Sitzschale in Baikonur, die beide speziell für mich angefertigt wurden", erklärte Epps. "Sie wollten alles überprüfen und zwar auch in der Sojus, so daß sie genau wissen, daß wenn ich fliege, daß mein Anzug paßt und meine Sojus-Sitzschale paßt und daß ich bequem im rechten Sitz der Sojus liege."

Epps fügte hinzu, daß sich mehrere ihrer russischen Kollegen sogar besorgt darüber zeigten, daß sie von der Mission abgezogen worden sei, "dahingehend, daß es nicht sicher sei, jemanden aus einer Besatzung herauszunehmen, mit der er/sie zwei Jahre lang trainiert hat, oder mindestens für ein Jahr, und der auch durch alle Prüfungen gegangen ist."

Epps sprach auch Spekulationen an, daß Rassismus oder Sexismus die Entscheidung motiviert haben könnte.

"Wir haben einfach keine Zeit, um uns über Sexismus und Rassismus Gedanken zu machen, denn wir müssen Leistung erbringen", widersprach sie. "Und wenn man das in's Spiel bringt, behindert man die Mission und mindert die Leistung. Also, auch wenn es ein Faktor gewesen sein sollte, kann ich nicht darüber spekulieren, was Leute denken und tun, solange ich nicht ein bißchen mehr an Informationen darüber habe."

Während sie auf weitere Informationen wartet, hat Epps wieder ihre Pflichten und Aufgaben in Houston aufgenommen. Darunter ihre Arbeit am ORION-Programm der NASA und ihren Dienst als CAPCOM, dem Bindeglied in der Kommunikation zwischen den Astronauten im All und den Flugleittechnikern im Missionsleitzentrum. Sie meinte, es wäre eine angenehme Überraschung gewesen, daß sie von früheren Astronauten, ihren Ausbildern und anderen bei der NASA unterstützt worden wäre, als sie aus Rußland zurückgekehrt war.

"Da waren eine Menge Leute, die mich wirklich unterstützt haben, frühere Astronauten und so, die sich um mich gekümmert haben und sehr hilfreich waren, indem sie einfach mit mir geredet haben, während ich versucht habe, einen Weg zu finden weiterzumachen, und herauszufinden, was eigentlich passiert ist", meinte Epps. "Ich war froh, als ich herausfand, daß ich mehr Freunde hatte, als ich dachte."

Quelle: Space.com
Bearbeitet von: Matthias Pätzold

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letzte Änderung am 23. Juni 2018