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Artikel 3. April 2008
Automatisches Transferfahrzeug JULES VERNE legt an der ISS an
Nach zwei erfolgreich verlaufenen Testanflügen heute das Andocken des europäischen Frachttransporters - JULES VERNE wird am Freitag Morgen geöffnet

ATV vor dem Andocken
Oben: Das europäische Automatisierte Transferfahrzeug JULES VERNE kurz vor dem Anlegen am heckseitigen Andockport des Servicemoduls SWESDA. Das ATV ist rund 10 Meter lang und 4,5 Meter im Durchmesser und damit das zweitgrößte Raumfahrzeug, das bisher an der Station angelegt hat. (Photo: ESA)
Das ATV JULES VERNE, das erste europäische Versorgungsfahrzeug für die Internationale Raumstation, hat erfolgreich ein vollautomatisiertes Anlegemanöver am orbitalen Außenposten durchgeführt. Dies markiert den Beginn der eigentlichen Hauptaufgabe von JULES VERNE, nämlich die Versorgung der ISS mit Fracht, Treibstoff, Wasser, Sauerstoff und Antriebsfähigkeit, ebenso wie den Eintritt der ESA in den abgegrenzten Club der Partner, die den Orbitalkomplex mit eigenen Fahrzeugen anfliegen können.

Das 19 Tonnen schwere unbemannte Raumfahrzeug manövrierte von einer Halteposition 39 km hinter der Station und führte ein vierstündiges Annäherungsmanöver mit mehreren Stops an Referenzpunkten zur Durchführung von Überprüfungen aus. Es berechnete autonom seine eigene Position mittels relativem GPS (Vergleich von Daten, die von GPS-Empfängern auf dem ATV und auf der Station ermittelt wurden) und optischen Methoden, die in der Nähe der ISS von einem Videometer, das auf Laser-Retroreflektoren an der Station zur relativen Entfernungs- und Lagebestimmung gerichtet wurde, ermittelt wurden. Der Endanflug fand bei einer Relativgeschwindigkeit von nur 7 cm/s und einer Genauigkeit von unter 10 cm statt, während beide Raumfahrzeuge sich mit 28.000 km/h in rund 340 km Höhe über dem östlichen MIttelmeer hinweg bewegten. Die Andocksonde des ATVs wurde vom Andockkegel am hinteren Ende des russischen Servicemoduls SWESDA der ISS um 16:45 Uhr MESZ eingefangen. Das Ankoppeln wurde mit dem Schließen der Andockklammern um 16:52 Uhr MESZ abgeschlossen.

Erstes automatisches Anlegemanöver

Dies ist das erste Mal für Europa, das ein automatisiertes Anlegemanöver in Hinblick auf die sehr strengen Sicherheitsbedingungen, die in der bemannten Raumfahrt gelten, durchgeführt wurde. Sowohl die Annäherung, als auch das Anlegen wurden von den Bordrechnern des ATVs unter ständiger Überwachung durch die Bodenleitmannschaften der ESA, der französischen Raumfahrtagentur CNES und des Hauptvertragspartners EADS-Astrium am ATV-Leitzentrum der CNES im französischen Toulouse, wie auch durch die Bordbesatzung der ISS im SWESDA-Modul, durchgeführt. Im Falle einer Anomalie hätten beide Seiten vorprogrammierte Manöver auslösen können, damit das ATV seine Position hält, zu einer vorherigen Referenzposition zurücksetzt, oder sich in eine sichere Distanz absetzt.

Das Verhalten des ATVs wurde auch von seiner eigenen unabhängigen Überwachungs- und Sicherungseinheit (MSU) ständig im Auge behalten. Diese nutzt einen eigenen Satz von Sensoren und Rechnern, um zu überprüfen, daß das Annäherungsmanöver sicher ausgeführt wird. Im Falle einer größeren Abweichung wäre die MSU in der Lage gewesen, die Steuerung zu übernehmen und über dafür vorgesehene Avionikschaltkreise und Schubdüsen ein Kollisionsvermeidungsmanöver (CAM) einzuleiten. Da aber der Verlauf des Annäherungs- und Andockvorgangs glatt verlief, waren keine dieser Sicherheitsmaßnahmen an diesem Nachmittag notwendig. Das ATV JULES VERNE war am 9. März mit einer Ariane 5ES vom europäischen Raumhafen Kourou in Französisch Guayana gestartet worden. Drei Tage später demonstrierte es erfolgreich seine autonomen CAM-Fähigkeiten und war für den Betrieb in der Nähe der ISS freigegeben worden. Das Raumfahrzeug bewegte sich daraufhin in einen Parkorbit, in dem es für die Dauer des Besuchs der Raumfähre ENDEAVOUR auf der ISS verblieb. Am 29. und 31. März führte es zwei Generalproben für das heutige Anlegemanöver durch, bei denen es sich sich der Station bis auf 11 Meter annäherte.

Neuer Lieferdienst

Nachdem das ATV nun an der ISS angekoppelt ist, wird es für die nächsten vier Monate als ein zusätzliches Modul der Station fungieren. Die Astronauten werden seinen druckbeaufschlagten Teil betreten und von dort rund 1150 kg an trockener Fracht entnehmen, darunter Kleidung, Nahrungsmittel und Ausrüstung, sowie zwei originale handgeschriebene Manuskripte des französischen Authors Jules Verne und eine illustrierte Ausgabe seines Romans "Von der Erde zum Mond" aus dem 19. Jahrhundert. Zusätzlich werden sie 856 kg Treibstoff, 270 kg Trinkwasser und 21 kg Sauerstoff in die Tanks des SWESDA-Moduls herüberpumpen.

Das erste Öffnen des ATV ist für Freitag Morgen um 10:30 Uhr MEZ vorgesehen. Die Besatzung der ISS, Expedition 16 Kommandantin Peggy Whitson und die Flugingenieure Jurij Malentschenko und Garrett Reisman werden dann als erstes einen Luftreiniger installieren, der in den nächsten Tagen die Luftqualität der der ISS angleichen soll.

Das ATV kann rund dreimal soviel Fracht transportieren, wie ein russischer PROGRESS-Transporter, wovon das meiste allerdings Treibstoff ist, der von den eigenen Schubdüsen für die Durchführung von regelmäßigen Bahnanhebungsmanövern der Station verwendet werden wird, um ihren ständigen Höheverlust aufgrund des auch in dieser Höhe noch vorhandenen Luftwiderstandes auszugleichen. Falls erforderlich wird das ATV auch eine redundante Möglichkeit zur Lageregelung der Station oder Manöver zum Ausweichen von Weltraummüll zur Verfügung stellen. Das erste Bahnanhebungsmanöver, das mit dem ATV durchgeführt werden soll, ist derzeit für den 21. April vorgesehen.

"Das ATV ist so viel mehr als eine einfacher Lieferwagen", meinte Daniel Sacotte, der Direktor für bemannte Raumfahrt, Mikroschwerkraft und Exploration der ESA. "Es ist ein intelligentes und vielseitig einsetzbares Raumfahrzeug, das gerade seine außerordentlichen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat. Es ist das größte und komplexeste Raumfahrzeug, das jemals in Europa entwickelt wurde, und nach der Raumfähre der NASA das bislang zweitgrößte, das die Station besucht hat. Mit COLUMBUS und dem ATV haben wir jetzt die erste Liga der ISS betreten." "Das Anlegen des ATV ist eine neuer und spektakulärer Schritt in der Demonstration der Fähigkeiten Europas auf dem internationalen Sektor der Weltraumexploration", erklärte Jean-Jaques Dordain, der Generaldirektor der ESA. "Dieser phantastische Schritt ist in erster Linie ein Ergebnis der gemeinsamen Arbeit in Europa, einschließlich der ESA-Mitgliedsstaaten, der Industrie mit Astrium als Hauptvertragspartner, dem Stab von CNES und ESA, ebenso wie von den Partnern an der ISS, insbesondere den USA und Rußland. Wir werden jetzt nach dem Start von ESAs COLUMBUS-Laboratorium die Ernte unserer Investitionen einfahren, zunächst in der Nutzung der einzigartigen Möglichkeiten der ISS und als zweites in der Vorbereitung der weiteren Erkundung des Sonnensystems. Jetzt, da das ATV oben ist und läuft, freue ich mich verkünden zu dürfen, daß die ESA in den nächsten Wochen ein Rekrutierungsprogramm für die Einstellung neuer europäischer Astronauten starten wird."

Quelle: ESA PR 20-2008
Bearbeitet von: Matthias Pätzold


letzte Änderung am 3. April MMVIII