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Artikel 9. November 2001
Unkultivierte Mikroorganismen
Manche Mikroorganismen atmen Methan statt Kohlendioxid - aber wie lassen sie sich nachweisen?

Viele Leute, die einen Kurs in Biologie gemacht haben, sind mit dem Prozeß der Photosynthese vertraut. Pflanzen absorbieren Kohlendioxid, benutzen dann die Energie der Sonne, um den Kohlenstoff zu den benötigten Biomolekülen zu verarbeiten und spalten schließlich den Sauerstoff als Abfall ab. Wir, wie andere Tiere, machen das Gegenteil: wir atmen den Sauerstoff ein und das Kohlendioxid aus.

unkultivierte Methanogene
Oben: Methanogene bauen Kohlenwasserstoffe zu den Endprodukten Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2) ab. (Photo: Abteilung für Mikrobiologie der Universität von Nimwegen, Niederlande)
Aber nicht alle Organismen machen bei diesem Kreislauf mit. Zum Beispiel in Sumpf und Morast gibt es riesige Mengen von Organismen, die Methan als Nebenprodukt ihres Stoffwechsels ausscheiden. Diese werden als Methanogene, als Methanerzeuger, bezeichnet. Methan ist ein Treibhausgas. Es wird geschätzt, daß jedes Jahr weltweit fast 650.000 Tonnen Methan produziert werden. Wenn das ganze Methan seinen Weg in die Erdatmosphäre fände, würde die Temperatur auf der Erde schnell ansteigen, Gletscher und Eiskappen der Pole würden schmelzen, der Meeresspiegel würde steigen und Küstenlinien überfluten. Kurz gesagt: Es gäbe eine globale Hitzekatastrophe.

Glücklicherweise gibt es aber auch Methanotrope, Mikroorganismen die Methan konsumieren. Die meisten dieser Organismen sind aerobe (sauerstoffverbrauchende) Methanotrope, die in einer Umgebung leben, in der Sauerstoff schnell verfügbar ist. Sie benutzen den Sauerstoff, um das Methan zu spalten, aus dieser Reaktion die Energie zu extrahieren und Wasser und Kohlendioxid als Nebenprodukte zu hinterlassen. Solche aeroben Organismen sind gesammelt und in Labors identifiziert und kultiviert worden. Sie sind gut bekannt und gut verstanden worden.

Aber wenn die Wissenschaftler die Methanotropen hochrechnen, kommen sie auf nur 17% des umgesetzten Methans. Irgend etwas anderes, glauben sie, muß die restlichen 17% Methan, die produziert werden, verbrauchen, denn es landet nicht in der Atmosphäre. Dieses "Irgend etwas" ist eine andere Gruppe von Mikroorganismen, anaerobe Methanotrope, die die Fähigkeit haben, Methan ohne die Anwesenheit von Sauerstoff zu konsumieren.

Aber es gibt ein Problem. Obwohl die Wissenschaftler überzeugt sind, daß es diese Mikroorganismen gibt, sind sie schwer zu fassen. Trotz vieler Versuche gelang es bisher niemandem, sie zu isolieren oder zu kultivieren.

Historisch war das Züchten eines reinen Stamms von Mikroorganismen in einem Labor die einzige Möglichkeit eine individuelle mikrobielle Spezies unzweideutig zu identifizieren. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler begonnen, einen neuen Weg zu entwickeln, um Mikroorganismen zu identifizieren - ohne sie dabei in einem Labor zu kultivieren.

Im Jahr 1999 unternehmen Kai- Uwe- Hinrichs und seine Kollegen vom Ozeanographischen Institut Woods Hole (WHOI) und vom Forschungsinstitut Monterey Bay Aquarium (MBARI) den ersten Schritt, diese neue Methode für anaerobe Methanotrope zu verwenden. Sie gruben ozeanische Sedimente von einem von Methan durchsickerten Feld an der nordkalifornischen Küste aus und untersuchten diese auf verräterische Spuren von schwer zu erfassenden Organismen. Das Material, das sie untersuchten, kam von weit unterhalb des Meeresbodens aus Schichten, in denen kein Sauerstoff vorhanden ist.

Unkultivierte Methanotrope
Oben: Methanotrope verwenden Sauerstoff, um Methan zu Kohlendioxid zu oxidieren. (Photo: Abteilung für Biologie der Universität von Wisconsin in Milwaukee, USA)
Hinrichs und seine Kollegen suchen nicht nach den kompletten Organismen, sondern sie angeln nach biologischen Molekülen, die einen Hinweis auf deren Existenz geben. Was sie in dem Dreck fanden, waren organische Moleküle, Lipide genannt, die häufig in Membranen von lebenden Zellen zu finden sind. Die molekulare Struktur dieser Lipide zeigt, daß Sie von Archaeen kommen, primitive einzellige, physiologisch bakterienähnliche Mikroben.

Mehr noch, sie fanden heraus, daß diese Lipide kaum Kohlenstoff vom Typ C13 enthalten. Kohlenstoff (C) kommt in zwei stabilen Isotopen vor: Kohlenstoff 12 (C12) und Kohlenstoff 13 (C13). Die Chemie der lebenden Zellen bevorzugt C12, denn die chemischen Reaktionen benötigen dabei geringfügig weniger Energie. Folglich ist in biologischen Material im Vergleich zu anderen kohlenstoffhaltigen Verbindungen, die nicht durch biologische Prozesse entstanden, gewöhnlich mehr C12 (oder auch umgekehrt weniger C13) enthalten.

Hinrichs und Co sahen nun, daß die Verminderung des C 13 in dem Lipid doppelt so stark ausfiel. Sie folgerten daraus, daß dies einem doppelten biologischen Prozeß zuzuschreiben sein mußte. Denn der Kohlenstoff, der zum Aufbau der Lipide benutzt wird, stammt bei den Methanotropen von dem Methan, welches von den Methanogenen produziert wurde. Das beinhaltet den Anhaltspunkt, wieso das C13 doppelt vermindert wurde: einmal bei der Methanherstellung und ein weiteres Mal bei der Bildung der Lipide.

Und sie fanden noch mehr: genetisches Material von neuen Organismen, die den bereits entdeckten Archaeen sehr ähnlich sind. Sie wissen nicht, woher dieses genetische Material stammt, nur, das es von Organismen stammt, die in dem untersuchten Gebiet vorkommen. Basierend auf diesen drei Anhaltspunkten, sind sie überzeugt, daß Archaebakterien in den Sedimenten vorhanden sind, und daß diese Bakterien von Methan leben. Aber dennoch besaßen sie nur Indizien. Die eigentlichen Organismen hatten sie bislang noch nicht gefunden. Dies wurde erst durch eine Zusammenarbeit mit einer anderen Gruppe von Forschern, geleitet von dem NAl - Mitglied Christopher House, einem Geologen der Staatsuniversität von Pennsylvania, und Victoria Orphan des MBARI, möglich.

"Woran wir uns, basierend auf einer Methode, die ich bei Mikrofossilien nutze," sagt House, "herangemacht haben, war, die fehlende Teile einzufügen." Orphan und House benutzen eine Kombination von zwei Techniken: FISH (fluoreszierende In-Situ Hybridisierung) und SIMS (sekundäre Ionenmassenspektrometrie).

FISH-Verfahren
Oben: Zweifarbige fluoreszierende In-Situ Hybridisierung (FISH). (Photo: Medizinisches Zentrum Südwest in Dallas, Universität von Texas, USA)
FISH erlaubt es den Wissenschaftlern, in einer großen Population verschiedenster Mikroorganismen nach bestimmten Zellen zu suchen, deren biochemische Signatur eine bestimmte molekulare Sequenz beinhaltet. Die Sonde, ein gentechnisch hergestelltes Biomolekül, arbeitet durch Hybridisierung (Bindung) der Ribosomen in solchen Zellen, die die Zielsequenz enthalten. Wenn es eine Übereinstimmung gibt fluoresziert die Probe, was es einfach macht, die interessanten Zellen zu finden. Orphan benutzte solch eine Sonde, um die Zellen zu identifizieren, die die genetische Sequenz enthalten, die von Hinrichs isoliert wurde.

Mit dieser Sonde, meint House, könne man nun einen Teil des methandurchfluteten Sediments inklusive der Gesellschaft der Mikroorganismen quasi auf eine Glasplatte legen. Durch die Hybridisierung bei dieser Untersuchung würden dann nur diejenigen Mikroorganismen fluoreszieren, die zu dieser mikrobiellen Gruppe gehören. Wie erwartet, fand Orphan Zellen, die die gesuchte Sequenz enthielten.

Dadurch wisse man nun, daß diese Zellen diejenigen sind, die möglicherweise in einer methanreichen Umgebung wachsen. Man wollte dies testen, und die Methode, die man dafür einsetzte, war SIMS.

SIMS beinhaltet, daß ein Partikel - in diesem Fall eine Zelle - mit einem Ionenstrahl beschossen und danach die Isotopenzusammensetzung gemessen wird. House wollte insbesondere sehen, ob die von Orphan identifizierten Zellen die doppelt verminderte C13 Signatur hatten, die von Hinrichs gefunden worden war - die Signatur, die sie als Methanotrope auszeichnete.

Und das gelang. Dadurch wisse man nun, daß diese Zellen wirklich auf Methan wachsen. Der Erfolg von House und Orphan stellt einen wichtigen Durchbruch dar. "Wissenschaftler überall auf der Welt versuchen diese Organismen zu kultivieren," meint House. "Sie versuchten es und scheiterten. Aber," fügt er hinzu, "wir können jetzt einen Organismus identifizieren und mit geochemischen Werkzeugen wie einen Felsen untersuchen, ohne dafür sie kultivieren zu müssen."

"Dies ist die erste kultivierungsunabhängige Technik, die ich kenne," sagt House, "wo man nicht einfach nur fragt: "Was ist es?", sondern stattdessen: "Welchen Metabolismus hat es?" - Und das, ohne es kultivieren zu müssen."

Ein Artikel über diese Forschung wurde in der Ausgabe des Journals Science vom 20. Juli 2001 veröffentlicht.

Bearbeitet von Melanie Lindner

Quelle: Astrobiologisches Institut der NASA (NAI)


letzte Änderung am 20. Mai 2002