Ein Doppelschlag der Evolution
Zellen haben zwei Möglichkeiten der Energiegewinnung aus Nährstoffen entwickelt - Modell auch für Leben auf anderen Himmelskörpern?
Das Gebiet der Eukaryonten ist in 4 Bereiche aufgeteilt: Tiere, Pflanzen, Pilze und
Protisten. Protisten sind Organismen, die sich von Pflanzen und Tieren durch geringe
morphologische Differenzierung unterscheiden und meistens einzellig sind. Algen, Pilze
und Protozoen sind höhere Protisten und Bakterien und Zyanobakterien, die zu den
Prokaryonten gezählt werden, sind niedere Protisten. Die Eukaryonten charakterisieren
sich dadurch, daß ihre DNA in einem Zellkern eingeschlossen ist. Viele Eukaryonten
besitzen Mitochondrien in der Zelle.
Mitochondrien wirken quasi als Kraftwerke, dadurch daß sie durch Veratmung von
Sauerstoff Nährstoffe zu Energie verarbeiten.
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Mitochondrien sind die Energiequellen der Zellen. Es sind eigenständige Organellen mit
zwei Membranen. Im allgemeinen stabförmig, kommen sie auch in runder Form vor. Die
äußere Membran begrenzt die Organelle, während die innere Membran zu Falten
verworfen ist, die in's Innere ragen. Abbildung: UIUC
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Nicht alle Eukaryonten stützen sich allein auf Mitochondrien zur Energiegewinnung. Zum
Beispiel haben Pflanzen und einige Protisten zusätzlich Plastiden, in denen die
Photosynthese stattfindet und durch die der Organismus mit Nährstoffen versorgt wird.
Organismen, die in einer sauerstoffarmen Umgebung leben, wie anaerobe Pilze und
Protozoen besitzen überhaupt keine Mitochondrien -- statt dessen gewinnen sie ihre
Energie mit Hilfe von Hydrogenosomen. Diese Organellen sind zwar in vieler Hinsicht den
Mitochondrien ähnlich, haben aber einen anderen Metabolismus. Während Mitochondrien
Sauerstoff zur Energiegewinnung brauchen, produzieren die Hydrogenosome die Energie
unter sauerstoffarmen Bedingungen.
Forscher der Niederländischen Organisation für Wissenschaftliche Forschung (NWO)
glauben, daß die Hydrogenosome sich im Zuge der Evolution wiederholt aus den
Mitochondrien entwickelt haben. Sie stellen die Hypothese auf, daß Protozoen und Pilze,
die in einer sauerstoffreichen Umgebung gelebt haben, sich plötzlich in einer komplett
anoxischen (sauerstofffreien) Umgebung wiedergefunden haben. Um diesen
Sauerstoffmangel zu überleben, entwickelten sich in ihnen die Mitochondrien zu
Hydrogenosomen.
Über den Ursprung der Hydrogenosome wurde lange debattiert. Wie die
NWO-Forscher glauben einige Wissenschaftler, daß Hydrogenosome aus Mitochondrien
entstanden sind. Andere glauben, daß Hydrogenosome und Mitochondrien einen
gemeinsamen Vorfahren haben. Im Gegensatz zu Mitochondrien arbeiten Hydrogenosome
in anoxischen Umgebungen, deshalb zeigt uns die Entwicklung dieses Systems zur
Energiegewinnung etwas über die Entwicklung des Lebens auf der frühen Erde. Die
Antworten auf diese Fragen könnten uns die Möglichkeiten aufzeigen, nach denen sich
das Leben auch auf anderen Welten entwickelt haben könnte.
Mitch Sogin, ein Mikrobiologe des Meeresbiologischen Laboratoriums und Mitglied des
Astrobiologischen Instituts der NASA (NAI) meint, daß jeder klare Einblick in die
mikrobiologische Evolution wichtige Hinweise für die Astrobiologie bringe. Man brauche nur
zu verstehen, wie die Diversität sich in der Abstammung der Bakterien entwickelt hat.
Um sich zu Hydrogenosomen umzuwandeln, brauchen Mitochondrien genetisches
Material von anaeroben Bakterien. Diese Übergabe von genetischem Material von einem
Mikroorganismus zu einem anderen wird "lateraler Gentransfer" genannt.
Lateraler Gentransfer beinhalte die Bewegung von Genen zwischen Organismen,
erklärt Sogin. Dies erlaube die unerwartete Einführung von einer oder mehrerer
biochemischer Möglichkeiten in einen Organismus.
Laut Sogin weicht der laterale Gentransfer von dem ab, was wir normalerweise als
Evolution bezeichnen, bei der der Genpool sich im Laufe der Zeit durch Mutationen
verändert. Mutationen werden im Genom aufgehoben, neue Fähigkeiten entwickelt oder es
gehen andere Funktionen verloren. Wissenschaftler können diese allmählichen
Veränderungen verfolgen, wohingegen der laterale Gentransfer schwerer zu entdecken
ist, da er das plötzliche Einführen von Genen, die nicht mit der natürlichen Entwicklung des
Genpools übereinstimmen, beinhaltet.
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Eine der vielen Arten von Zyanobakterien aus der Familie Tolypothrix. (Photo: Cyanosite)
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In der Frühzeit der Erde, als Sauerstoff kaum vorhanden war, wurde der Planet von
einzelligen Organismen mit wenig oder keiner intrazellulären Organisation beherrscht. Eine
Überlegung ist, daß blaugrüne Algen vermutlich so viel Sauerstoff produziert haben, daß
die Ozeane ihn nicht mehr aufnehmen konnten und der Überschuß sich in der Atmosphäre
angesammelt hat. Zu dieser Zeit war Sauerstoff ein giftiges Gas für die meisten
Lebewesen auf der Erde. Um zu überleben, mußten sich neue Formen des Stoffwechsels,
welche auf der Veratmung von Sauerstoff basieren, entwickeln.
Molekulare und fossile Daten zeigen, dass Eukaryonten vor 2 bis 3 Billionen Jahren
auftauchten, als die Erdatmosphäre größtenteils frei von Sauerstoff war. Der früheste
Eukaryont hatte keine Mitochondrien. Viele Wissenschaftler glauben, dass Mitochondrien
ursprünglich aerobe (sauerstoffatmende) Bakterien waren, die von einem größeren
anaeroben Organismus gefressen wurden, von dem frühen Eukaryonten. Anstatt als
Nahrung verdaut zu werden überlebte das Bakterium und wurde Teil des
Zellstoffwechsels (Endosymbiontentheorie). Die Eingliederung des aeroben Bakteriums
erlaubte dem anaeroben Eukaryonten in einer Sauerstoffatmosphäre zu überleben, indem
der anaerobe Organismus Nährstoffe für das aerobe Bakterium bereitstellte und dafür
Energie in Form des Energietransferstoffes Adenosintriphosphat (ATP) erhielt.
Mitochondrien und Hydrogenosome benutzen viele gemeinsame Proteine und der
Stoffwechsel der Hydrogenosome ist ähnlich wie der der frühen Eukaryonten, bevor die
Mitochondrien sich entwickelt hatten. Deshalb glauben einige Wissenschaftler, daß
Hydrogenosome neue Einblicke liefern, wie Eukaryonten funktionierten, bevor der
Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre zu steigen begann. Sogin glaubt nicht, daß
Hydrogenosome etwas über den Ursprung der Eukaryonten aussagen.
"Die Wasserstofftheorie ist ein kluges Modell, um die Ursprünge der Eukaryonten zu
erläutern," sagt Sogin. "Meiner Meinung nach ist dieses Forschungsgebiet auf der einen
Seite sehr aufregend, aber auf der anderen Seite fehlen bedeutungsvolle molekulare
Sequenzdaten, um in der Lage zu sein, die Richtigkeit dieser Hypothese zu beweisen. Ich
denke, die Transformation von aeroben Mitochondrien zu einem Stoffwechsel, der auf
anaeroben Hydrogenosomen basiert, hat wenig oder gar nichts mit dem Ursprung der
Eukaryonten zu tun."
| Oben:
Protozoen sind auch Eukaryonten, d. h. sie besitzen einen Zellkern, in dem das genetische
Material der Zelle enthalten ist. (Photo: UCMP Berkeley)
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Das NWO-Forscherteam vergleicht die Hydrogenosome verschiedener Protozoen und
anaerober Pilze und entdeckte, daß Inhalt und Form dieser Zellorganellen sich von Spezies
zu Spezies unterscheiden. Die Hydrogenosome von Nyctotherus ovalis, ein Protozoe aus
den Därmen der Küchenschabe, ähneln noch sehr den Mitochondrien. Die der
Neocallimastix und Piromyces, Pilze aus den Därmen des Lamas und des indischen
Elefanten, sehen dagegen völlig anders aus.
Neben den Unterschieden gibt es aber auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den
Hydrogenosomen der verschiedenen Spezies. Die Forscher folgern daraus, daß die
Hydrogenosome jedesmal aufs neue aus den Mitochondrien im Zuge der Evolution
entstehen.
Mit anderen Worten: Hydrogenosome entstehen sogar heute noch aus Mitochondrien,
wann immer Organismen aus einer sauerstoffreichen in eine sauerstoffarme Umgebung
gelangen, wie Sogin meint. Dieser Wechsel der Umgebungsbedingungen kann so einfach
sein, wie z. B. im Matsch begraben oder in die Därme eines Tieres aufgenommen zu
werden.
Sogin's Schluß: "Für mich ist klar, daß sich Hydrogenosome in der Geschichte der
Protozoen mehrfach entwickelt haben, und daß diese Entwicklung eine unausweichliche
Konsequenz für einen Eukaryonten ist, der sich in eine anaerobe Nische hinein bewegt."
Übersetzt und bearbeitet von Melanie Lindner.
Quelle:
Astrobiologisches Institut der NASA (NAI) |