Zurück zur Startseite Allgemein
Zurück zur Startseite Zurück zur Allgemein-Indexseite
Artikel 13. Mai 2014
Schlagabtausch zwischen Rußland und USA geht in die nächste Runde
Rußland will keine Triebwerke für ATLAS V Träger mehr liefern - ab 2020 auch keine weitere Kooperation im ISS-Programm

Dmitrij Rogosin
Oben: Der stellvertretende russische Miniterpräsident Dmitrij Rogosin. (Photo: Government.ru)
Der stellvertretende russische Premierminister Dmitrij Rogosin hat am Dienstag gegen die US-Sanktionen gegen Rußland zurückgefeuert. Dabei wies er die von der NASA angedachte Betriebsdauerverlängerung der Internationalen Raumstation bis 2014 verächtlich zurück und kündigte Pläne an, die Exporte russischer Raketentriebwerke, die für Starts von amerikanischen Militärsatelliten eingesetzt werden sollen, zu untersagen.

Rogosins Stellungnahmen sind das letzte Kapitel in einem Schlagabtausch zwischen Rußland und den USA wegen der massiven russischen Einflußnahme in der Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Sie haben das Potenzial, die bemannte Raumfahrt, die US-Trägerraketen- und Startdienstleistungsindustrie und das kommerzielle Satellitengewerbe zu beeinträchtigen.

"Wir haben unsere Kollegen auf der politischen und der professionellen Ebene immer wieder gewarnt, daß Sanktionen einen Bumerangeffekt haben", erklärte Rogosin. "Sie kommen immer zu einem zurück und sind einfach ungünstig für solche sensiblen Bereiche, wie die Zusammenarbeit bei der Weltraumerkundung, der Herstellung von Raumfahrtantrieben und der Navigation, nicht zu reden von der bemannten Raumfahrt."

Rußland liefert die RD-180-Triebwerke für die Erststufen der ATLAS V Trägerrakete von United Launch Alliance (ULA), und die russische SOJUS-Kapsel ist derzeit das einzige Raumfahrzeug, das Astronauten von der Erde zur ISS und wieder zurück bringen kann.

In Twitter-Beiträgen hatte Rogosin am Dienstag verkündet, daß dide russische Raumfahrtbehörde nicht plane, die Kooperation mit den Vereinigten Staaten am ISS-Programm über das jahr 2020 hinaus fortzusetzen.

Der stellvertretende Premierminister, zu dessen Aufgabenbereich auch die Aufsicht über die russische Raumfahrt- und Rüstungsindustrie gehört, twitterte auch: "Rußland ist nur bereit, RD-180-Triebwerke an die USA zu liefern, wenn garantiert ist, daß sie nicht im Interesse des Pentagons eingesetzt werden."

ATLAS V
Oben: Eine ATLAS V Trägerrakete von ULA startet vom US-Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien. (Photo: Gene Blevins/LA Daily News)
Die NASA und ULA erklärten am Dienstag, daß sie bislang noch kein formales Kommuniqué aus Rußland erhalten hätten, daß den von Rogosin angekündigten Kurswechsel ausführlich erläutert.

"Die Zusammenarbeit in der Raumfahrt war immer das Gütesiegel in den Beziehungen zwischen den USA und Rußland, selbst in Zeiten des kalten Krieges und ganz besonders in den letzten 13 Jahren kontinuierlicher menschlicher Präsenz an Bord der Internationalen Raumstation", erklärte die NASA in einer Stellungnahme gegenüber Reportern.

"Der laufende Betrieb auf der ISS wird auf einer normalen Basis fortgeführt, mit einer geplanten Besatzungsrückkehr heute Nacht ... und einem geplanten Start einer neuen Besatzung in ein paar Wochen. Wir haben bis zu diesem Zeitpunkt keine offizielle Mitteilung der russischen Regierung über irgendwelche Änderungen in unserer Zusammenarbeit im All erhalten."

United Launch Alliance, der Betreiber der ATLAS- und DELTA-Trägerraketenfamilie, hat ihren Konkurrenten SpaceX für die verschlechterten internationalen Beziehungen verantwortlich gemacht, nachdem die kommerzielle Raumfahrtfirma eine Klage beim US-Bundesfinanzgericht eingereicht hatte, um die Entscheidung der US-Luftwaffe, ULA mit der alleinigen Durchführung von 28 Starts zu beauftragen, rückgängig zu machen.

SpaceX versucht Fuß auf dem lukrativen Markt von Starts von Satelliten der nationalen Sicherheit zu fassen, der, wie sie anführen, von ULA monopolartig beherrscht wird.

Das Gericht hat noch nicht entschieden, ob der auf einen Wert von $11 Milliarden bezifferte Startvertrag mit der US-Luftwaffe bestehen bleibt, aber ein Bundesrichter hatte am 30. April bereits eine einstweilige Verfügung erlassen, die es ULA untersagte, RD-180-Triebwerke von NPO Energomasch, einem in Moskau ansässigen Raketentriebwerksbauer, zu beziehen.

Die zweidüsigen Triebwerke werden von RD AMROSS, einer gemeinsamen Tochter von NPO Energomasch und United Technologies Corp., in die USA eingeführt.

Richterin Susan Braden verhängte die einstweilige Verfügung zum Einfuhrverbot, nachdem SpaceX in ihrer Klage Bedenken darüber geäußert hatte, daß Dmitri Rogosin persönlich am Kauf von RD-180-Triebwerken mit US-Steuergeldern profitieren würde.

Rogosin, der auf der Sanktionsliste der USA steht, hatte damals bereits diese Vorwürfe brüsk zurückgewiesen.

Regierungsbehörden teilten danach dem Gericht mit, daß die Triebwerkskäufe in keiner Weise die US-Sanktionen gegen Rußland verletzten, und Braden hob daraufhin die einstweilige Verfügung am 8. Mai wieder auf, um es ULA und seinen Zulieferern zu ermöglichen, den Handel mit RD-180-Triebwerken fortzuführen.

"ULA und und unserer Zulieferer NPO Energomasch sind sich keinerlei Beschränkungen bewußt", erklärte die ULA-Pressesprecherin Jessica Rye am Dienstag in einer schriftlichen Stellungnahme in Bezug auf Rogosins Bemerkungen. "Sollten aber die jüngsten Nachrichtenberichte zutreffen, dann bestätigt dies nur, daß SpaceX mit seinen verantwortungslosen Taten eine unnötige Störung (in den Beziehungen) verursacht, den Betrieb US-amerikanischer Militärsatelliten gefährdet und unsere zukünftigen Beziehungen in Zusammenhang mit der Internationalen Raumstation unterminiert hat.

Wir hoffen, daß unsere zwei Nationen in den kommenden Monaten für produktive Gespräche zusammenkommen werden, um die Probleme schnell zu lösen."

ISS
Oben: Die Internationale Raumstation. (Photo: NASA)
Industrievertreter berichten, daß sich derzeit 16 RD-180 Triebwerke in den USA befinden und weitere später in diesem Jahr aus Rußland geliefert werden sollen.

ULA erklärte, ihr Bestand an RD-180-Triebwerken reiche für ATLAS V Starts für mindestens die nächsten zwei Jahre aus. Das ATLAS V Startmanifest der nächsten zwei Jahre ist mit US-Militär- und Aufklärungssatelliten, NASA-Raumsonden und einer Handvoll kommerzieller Satelliten gefüllt.

Der Start zukünftiger Nutzlasten könnte auch der teureren DELTA 4 Rakete zugewiesen werden. Die DELTA 4, der andere ULA-Träger, ist mit in den USA hergestellten Triebwerken ausgestattet.

Die Krise in der Ukraine hat die Rufe nach der Entwicklung einer Alternative zum russischen RD-180 wieder laut werden lassen. Das Triebwerk erzeugt durch die Verbrennung von Kerosin mit Sauerstoff einen Schub am Boden von 3,8 Meganewton. Kein anderes kohlenwasserstoffbetriebenes Triebwerk kommt an die Leistungswerte des RD-180 heran.

Der Streitkräfteausschuß des US-Repräsentantenhauses hatte am 7. Mai einen Gesetzesantrag gestellt, nach dem $220 Millionen (€160 Millionen) für den Beginn der Entwicklung eines großen US-eigenen Raketentriebwerkes in der Leistungsklasse des RD-180 freigegeben werden sollen. Die Mittel müssen noch von beiden Kammern des US-Kongresses bewilligt und vom Weißen Haus angenommen werden.

Rogosin hatte den Kurswechsel Rußlands in Bezug auf die ISS und die RD-180-Triebwerke in einer Pressekonferenz zusammen mit dem Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos Oleg Ostapenko bekanntgegeben.

Der stellvertretende russische Premierminister steht mit anderen hochrangigen Mitgliedern der russischen Regierung, die von den USA für die russische Annexion der Krim verantwortlich gemacht werden, auf einer Sanktionsliste der US-Regierung, die seine Reisemöglichkeiten und internationalen finanziellen Transaktionen einschränken sollen.

Anfang April hatte das US-Außenministerium die NASA angewiesen, alle bilateralen Kooperationen mit der russischen Regierung einzustellen. Die ISS, das bei weitem größte gemeinsame Projekt von NASA und Roskosmos, und ein paar kleinere wissenschaftliche Projekte wurden davon allerdings ausgenommen.

Die US-Regierung hatte am 28. April ihre Sanktionen um Exportbeschränkungen von Geräten auf der Liste von US-Rüstungsgütern erweitert, darunter auch viele Satellitenkomponenten.

Die Exportbeschränkungen erhöhten die Unsicherheit bei den größten kommerziellen Kommunikationssatellitenbetreibern. Viele große Telekommunikationssatelliten werden im Rahmen eines Vertrages mit der US-Firma International Launch Services (ILS) mit russischen PROTON-Trägerraketen von Kasachstan aus gestartet. ILS ist einer der drei größten Startdienstleister auf der Welt neben Arianespace und SpaceX.

Ostapenko wiederholte Äußerungen von hochrangigen Vertretern der Satellitenindustrie aus den letzten Tagen, daß kommerzielle PROTON-Starts für den Rest des Jahres 2014 ungehindert weitergehen werden, aber die Verhandlungen für Starts in den Jahren 2015 und 2016 noch im Gange wären.

"Sanktionen haben die Wirkung eines Elefanten im Porzellanladens. Das heißt, daß wir unsere russische Politik immer auf die folgende Logik aufgebaut haben: Eine Äußerung wird mit einer Äußerung beantwortet und einer Aktion folgt eine Reaktion", meinte Rogosin.

Gemäß einer Abschrift von Rogosins Ausführungen auf einer Internetseite der russischen Regierung, gehen die die Verantwortlichen von Roskosmos davon aus, daß sie "die ISS genau bis 2020 brauchen werden."

"Nach 2020 würden wir unsere Ressourcen, intellektuellen Kapazitäten und Fertigungskapazitäten gerne verwenden, um vielversprechendere Raumfahrtprojekte aufzubauen", soll Ostapenko laut der Abschrift von der Pressekonferenz gesagt haben.

"Wir müssen verstehen, wie viel Profit wir aus der Nutzung der Station ziehen, alle Kosten zusammenrechnen und abhängig von dieser Bilanz entscheiden, was wir als nächstes machen", wurde Rogosin von der Nachrichtenagentur Interfax zitiert.

Das Weiße Haus hatte im Januar angekündigt, einen weitergehenden Betrieb der ISS bis in das Jahr 2024 zu befürworten. Bisher hatte die Obama-Administration den Betrieb des orbitalen Forschungskomplexes, der gemeinsam von den Vereinigten Staaten, Rußland der europäischen Raumfahrtorganisation ESA, Japan und Kanada unterhalten wird, nur bis 2020 zugesagt.

SOJUS
Oben: Eine SOJUS-Raumkapsel an der ISS. Die russischen Raumfahrzeuge sind derzeit die einzigen, mit denen Besatzungen zur ISS und wieder zurück transportiert werden können. (Photo: NASA)
Als die zwei führenden Partner im ISS-Programm sind Rußland und die USA bei kritischen Dienstleistungen voneinander abhängig. Die NASA hat die russischen SOJUS-Kapseln exklusiv für den Transport ihrer Astronauten zur ISS und wieder zurück genutzt, seit 2011 die US-Raumfähren außer Dienst gestellt wurden.

Die SOJUS ist neben der chinesischen SHENZHOU-Raumkapsel das einzige betriebsfähige bemannte Raumfahrzeug auf der Welt. Aber nach US-Gesetz darf die NASA keine bilaterale Kooperation mit dem chinesischen Raumfahrtprogramm eingehen.

Der russische Teil der Raumstation wiederum wird mit Strom aus den US-Solarmodulen betrieben und die Steuermomentenkreisel der NASA sorgen für die Lageregelung des gesamten Komplexes, was den Verbrauch von Treibstoff bei den russischen Lageregelungstriebwerken deutlich reduziert.

Rußland wiederum stellt in seinen Modulen und mit seinen PROGRESS-Transportern Triebwerkskapazität bereit, um die Bahn des Orbitalkomplexes, der von den Überresten der Erdatmosphäre in 420 km Höhe ständig leicht abgebremst wird, regelmäßig wieder anzuheben.

Rogozin sagte den Reportern, die russische Regierung habe Roskosmos angewiesen, mit Partnern im asiatisch-pazifischen Raum zu arbeiten. Später am Dienstag äußerte Rogosin auf Twitter, daß russische Raumfahrtfunktionäre am 19. Mai, dem Vorabend von Präsident Wladimir Putins Besuch in China, die Möglichkeit von bilateralen Kooperationen bei Raumfahrtprojekten zwischen den beiden Ländern diskutieren sollen.

Rogosin und Ostapenko kündigten auch an, daß sie die Genehmigung für 11 Bodenstationen des amerikanischen Satellitennavigationssystem GPS auf russischem Staatsgebiet zurückziehen werden, falls die Vereinigten Staaten Rußland nicht erlaube, ähnliche Anlagen für das russische GLONASS-System auf US-Boden zu errichten.

GLONASS ist das russische Gegenstück zur amerikanischen GPS-Satellitenflotte.

Rogosin erklärte, der Betrieb der GPS-Bodenstation werden am 1. Juni ausgesetzt, sofern Moskau und Washington keine Vereinbarung über den Bau der GLONASS-Bodenstationen in den USA treffen können. Wenn es keine Vereinbarung bis zum 1. September gibt, werden die GPS-Stationen geschlossen.

Die GPS-Bodenstationen wurden auf der Basis einer Vereinbarung aus dem Jahr 1993 in Rußland errichtet.

Diese Bodenstationen sind Teil eines weltweiten Netzwerks von Anlagen, die die Navigationsinformationen der GPS-Satelliten überprüfen und gegebenenfalls korrigieren, um so die Genauigkeit des Systems vor allem für militärische Anwendungen zu gewährleisten.

Ostapenko sagte, Rußland habe der US-Regierung bereits die Dokumentation übersandt, die für den Bau der GLONASS-Bodenstationen in den Vereinigten Staaten erforderlich ist.

Quelle: Spaceflight Now
Bearbeitet von: Matthias Pätzold

Kommentar abgeben


letzte Änderung am 15. Mai MMXIV