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Artikel 20. Juli 2018
Putin fordert von Roskosmos "drastische Verbesserungen" im Raumfahrtbereich
Termine für die Einführungen von neuen Trägern sollten eingehalten werden - Abhängigkeit vom Staatsbudget soll durch Generierung anderer Einnahmensquellen reduziert werden

Sitzung von Roskosmos
Oben: "Wir sind uns sehr bewußt, daß es nicht nur um Prestige geht", sagte der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Konferenz mit führenden Funktionären der staatlichen Raumfahrtgesellschaft Roskosmos. Photo: Kreml
Der russische Präsident Wladimir Putin hat Roskosmos aufgefordert, die Terminvorgaben für die zukünftigen Trägerraketen ANGARA und SOJUS-5 und eines "überschweren" Trägers einzuhalten, und die Probleme in der Qualitätssicherung in den Griff zu bekommen, die russischen Raumfahrzeugen und Trägerraketen in den letzten Jahren zu schaffen gemacht hat.

Der veröffentlichen Niederschrift von Putins Bemerkungen während einer Besprechung mit der staatlich geleiteten Gesellschaft Roskosmos zufolge habe Putin gesagt, es sei "notwendig, die Qualität und Zuverlässigkeit der Raumfahrt und der Trägerraketen drastisch zu verbessern", um Rußlands zunehmend gefährderte Führungsrolle im All zu erhalten.

"Trotz aller bekannten Probleme hat die Raketen- und Raumfahrtindustrie ein großes technologisches und personelles Potential, großartige Ingenieure und wissenschaftliche Schulen ... Da die Raumfahrtindustrie von strategischer Bedeutung ist, konzentrieren sie sich bitte auf die naheliegenden Aufgaben", sagte er.

Die russische Trägerrakete PROTON hatte in den letzten zehn Jahren mehr als ein halbes Dutzend teilweise oder vollständige Fehlschläge erlitten und war für den größten Teil der Jahre 2016 und 2017 aus dem Verkehr gezogen worden, um eine Untersuchung von Anomalien durchzuführen, und in der Folge auch aufgrund der Entdeckung eines Betrugsskandals in der Maschinenfabrik Woronesch, durch den Triebwerke nicht konstruktionsgerecht hergestellt wurden. Die Startprobleme mit der PROTON hatten dazu geführt, daß das Unternehmen International Launch Services, die US-geführte Vertriebstochter des Raketenherstellers Chrunitschew, ihre Marktanteile an die europäischen und amerikanischen Startdienstleister verloren hatte.

Im Frühjahr hatten die russischen Verantwortlichen die Versuche, den Satelliten AngoSat-1 zu retten, der kurz nach dem Start im Dezember Fehlfunktionen zeigte. Der Kommunikationssatellit, der für Angola gebaut worden war, war einer der seltenen Exporte für die russischen Satellitenhersteller gewesen.

Putin erklärte, die Testflüge der SOJUS-5, die gemäß eines am 17. Juli unterzeichneten Vertrages von RSC Energija entwickelt und gebaut werden soll, "sollten in 2022 beginnen."

Bezüglich einer "überschweren Trägerrakete", verlangte Putin, daß die Flugtests "wie geplant im Jahr 2028 beginnen sollten."

Putin hatte den früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Dimitri Rogosin nach der kürzlichen neuen Regierungsbildung zum neuen Chef von Roskosmos gemacht. Rogosin steht allerdings seit der völkerrechtswidrigen Besetzung und Annexion der Krim im Jahr 2014 unter Sanktionen der USA und der EU und darf nicht in den Westen reisen, was Konferenzen auf höchster Ebene zwischen NASA, Roskosmos und ESA schwierig gestalten dürfte. Letzten Monat hatte Rogosin darüber diskutiert, die PROTON außer Dienst zu stellen, um den Weg für die ANGARA-Raketenfamilie frei zu machen. Er argumentierte, daß die Produktion beider Raketen würde ihren Hersteller Chrunitschew finanziell zu stark belasten.

Die ANGARA, Rußlands Nachfolger für die PROTON, die seit den 1960ern im Einsatz ist, "ist für 2021 geplant", meinte Putin, benötige aber erst noch eine Startrampe.

Rußland baut eine ANGARA-Startrampe auf dem Gelände ihres Kosmodroms Wostotschnij weit im Osten des Landes am Amur. Der Bau des Raumhafens hatte allerdings erhebliche Verzögerungen und Kostenüberziehungen gezeigt.

Putin meinte, Rußlands Raketen- und Raumfahrtindustrie sei "derzeit zu sehr von Haushaltsgeldern abhängig", und sollte sich "auf Möglichkeiten konzentrieren, ihre Leistungen zu diversifizieren." Er sprach den Verteidigungssektor als ein Ziel für eine solche Diversifizierung an, allerdings nicht den kommerziellen Sektor.

"Ich denke, [Roskosmos] kann und sollte einen ständigen Einkommensstrom von bezalten Dienstleistungen sicherstellen, der in anderen Geschäftsfeldern generiert wird, wie Information, Navigation und Kommunikation. Damit werden wir Bundeshaushaltsgelder direkt zu den zukünftigen Zielen der Raumfahrtindustrie weiterleiten", meinte Putin.

Putin sprach auch ein Satellitenprogramm namens "Sphäre" an, das aus einer Konstellation von rund 640 Satelliten bestehen soll, die in Schüben in den Jahren 2022, 2024 und 2028 gestartet werden sollen. "Sphäre" solle einen Beitrag zur weltraumgestützten Navigation, Telekommunikation und Fernsensorik liefern.

Putin beschrieb "Sphäre" als eines von Roskosmos' kommerziell machbaren Projekten und drängte auf seine Verwirklichung, wobei er Interesse aus der russischen Wirtschaft und von ausländischen Partnern anführte.

Mit seinen Bemerkungen hat Putin indirekt bestätigt, daß sich die russische Raumfahrt in den letzten Jahren in einem eher desolaten Zustand, geprägt durch mangelhafte Qualitätssicherung sowie Korruption und Betrug, befunden hat, der bis in die bemannte Raumfahrt hineinreicht, wie der Absturz des PROGRESS MS-04 Anfang Dezember 2016 und der Vorfall bei der Landung der SOJUS MS-02 im April 2017 zeigen, und dabei auch europäische Astronauten wie z. B. Thomas Pesquet, der von November 2016 bis Mai 2017 auf der ISS war, gefährdet hat.

Bisher waren aber alle Bemühungen, die inhärenten Probleme der russischen Raumfahrt in den Griff zu bekommen, darunter auch die mehrfache Neubesetzung des Chefsessels bei Roskosmos, nicht von sonderlichem Erfolg gekrönt.

Quelle: Space News
Bearbeitet von: Matthias Pätzold


letzte Änderung am 21. Juli 2018